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Kapitel 2

BINCHOTAN

Die japanische Binchotan-Holzkohle mit ihren tiefschwarzen Farbtönen und feinen Adern wird zur Leinwand für spezielle Blancpain-Zifferblätter.

Autoren der Kapitel

JEFFREY S. KINGSTON

Autoren der Kapitel

JEFFREY S. KINGSTON
BINCHOTAN
BINCHOTAN
Ausgabe 19 Kapitel 2

Falls Sie ein gewiefter Feinschmecker sind, führt Sie der Titel „Binchōtan“ wahrscheinlich in die Irre. Binchōtan ist bekannt als weltweit beste Holzkohle zum Grillen. Es handelt sich grundsätzlich um reinen Kohlenstoff, bei dessen Herstellung alle Verunreinigungen verbrannt werden. Deshalb ist sie geruchlos und wird vor allem in Japan für Yakitori und das Grillen von Süßwasserfischen geschätzt, deren zarte Aromen erhalten bleiben, ohne durch konkurrierende Geschmacksnoten verändert zu werden, wie dies beim Grillen mit üblicher Holzkohle oft der Fall ist. Da ihre Vorteile in der Kochwelt bekannt und geschätzt sind und angesichts unseres Engagements für Restaurant- und Wein­artikel als Highlights jeder Ausgabe der Lettres du Brassus wäre Binchōtan zweifellos ein Thema für unsere Rubrik Art de Vivre. Das Problem ist nur, dass es bei dieser Geschichte über Binchōtan nicht um die feine Küche, sondern um Kunst geht.

Historisch sind Kunsthandwerk und Uhrmacherei seit Jahrhunderten eng miteinander verbunden, was auch für ihre Traditionen gilt. Blancpain ist denn auch stolz darauf, in der Manufaktur in Le Brassus mit der Abteilung Métiers d’Art über ein Team von Kunsthandwerkern und Künstlern zu verfügen, das zu den bedeutendsten der Uhrenwelt gehört und diese Traditionen durchaus pflegt. Das heißt jedoch nicht, dass diese besonderen Kunstformen für alle Zeiten unverändert bleiben sollen. Die Kunsthandwerker von Blancpain haben freie Hand, um Werkstoffe, Verfahren und Motive zu nutzen, die bisher noch nie in Zeitmessern verwendet wurden. In den letzten Jahren haben sie das traditionelle japanische Shakudō-Patina-Verfahren mit alten tauschierten Motiven für die Kreation von Zifferblättern eingesetzt, die zu uhrmacherischen Weltpremieren wurden. In deren Fortsetzung haben sie nun mit ihrer Interpretation des Binchōtan eine dritte Weltneuheit geschaffen.

BINCHOTAN
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KREATIVITÄT bedeutet, etwas Vertrautes auf NOCH NIE DAGEWESENE WEISE wahrzunehmen.

Die Kunsthandwerker von Blancpain hatten für die Verwendung von Binchōtan eine völlig neue Vorstellung. Kreativität bedeutet im Grund, etwas Vertrautes auf noch nie dagewesene Weise wahrzunehmen, und das geschah, als sie auf Binchōtan aufmerksam wurden, insbesondere auf die Maserung in Form feiner Adern dieser an sich tiefschwarzen Holzkohle. Nachdem sie einige einfache Schmuckstücke aus Binchōtan ohne jede weitere Verschönerung gesehen hatten, begannen sie zu prüfen, ob sich diese Holzkohle mit ihrem gemaserten Schwarz für die Herstellung von Zifferblättern eignen könnte.

Während die meisten von uns Holzkohle vor allem als idealen Grillbrennstoff schätzen oder allenfalls wissen, dass sie technisch als Material für die Reinigung von Luft und Flüssigkeiten genutzt sowie zu einfachen Dekorobjekten wie Anhängern verarbeitet wird, erkannten Blancpains Künstler die Möglichkeit, daraus attraktive Zifferblätter mit subtil strukturierter schwarzer Oberfläche anzufertigen.

Kein Zweifel, dass unsere Leser mit der profaneren Form der Holzkohle zum Kochen vertraut sind, die leicht, zerbrechlich und anfällig darauf ist, sich in Staub aufzulösen… Eigenschaften, die sie nicht gerade für uhrmacherische Anwendungen empfehlen. Da Binchōtan auf eine ganz andere Weise hergestellt wird, hat es keine dieser Nachteile. Seine Produktion wurde vor drei Jahrhunderten in der japanischen Provinz Kishū entwickelt. Die Herstellung war und ist jedoch außergewöhnlich aufwendig. Sie beginnt mit dem Sammeln von Zweigen und Ästen der Ubame-Eiche, die in den Hügeln dieser Region wächst und ein besonders hartes Holz hat. Schon vor Jahrhunderten achtete man bei der Ernte auf Nachhaltigkeit, indem man keine Bäume fällte oder ihrer Äste beraubte. Der Rohstoff besteht nach wie vor einzig und allein aus 

Die ausserordentliche Härte von Binchōtan entspricht annähernd jener von EDELSTAHL.

gefallenen Ästen, die man sammelt und dann in Grubenmeilern stapelt. Danach deckt man diese mit Erde und anderen Materialien luftdicht ab und zündet sie an. Dank reduzierter Luftzufuhr und Temperatur verwandelt sich dabei das Holz allmählich in Holzkohle.

Dieser erste und kontrollierte langsame Brand dauert mehrere Wochen. Entscheidend für das Verlang­samen ist die Steuerung der Sauerstoffmenge. Danach lässt man die Temperatur auf mehr als 1000 °C steigen. Der Rauch wird sorgfältig überwacht, bis er rein weiß aufsteigt, was anzeigt, dass alle Verunreinigungen verbrannt sind. Das Ergebnis ist eine aus nahezu 100% reinem Kohlenstoff bestehende Holzkohle. Bei Binchōtan-Holzkohle, die zum Kochen verwendet werden soll, wird nun das Feuer mit einer Mischung aus Erde und weißer Asche erstickt und vermengt. Das verleiht der Oberfläche der Kohle einen dezenten Grauton, weshalb die Sorte auch als „weiße Holz­kohle“ bezeichnet wird. Dieses von einem Köhler namens Binchoya Chozaemon wahrscheinlich im 15. oder 16. Jahrhundert entwickelte und nach ihm benannte Verfahren blieb lange Zeit ein streng gehütetes Geheimnis. Obwohl es Holzkohlemeiler auch anderswo in Japan gibt, schätzt man die traditionellen handwerklichen Verfahren von Kishū für die Erzeugung hochwertigster Binchōtan-Kohle nach wie vor. 

Zunächst stellten die Blancpain-Kunsthandwerker fest, dass Binchōtan im Gegensatz zu herkömmlichen Holzkohleformen außergewöhnlich hart ist und beinahe an Edelstahl herankommt. Darüber waren sie hocherfreut, denn so kann Binchōtan in Scheiben gespalten und präzis zugeschnitten, gebohrt und poliert werden, bis sich seine Oberfläche für ein Uhrenzifferblatt eignet. 

Allerdings gab es für diese erstmalige Verwendung in der Uhrmacherei keine Anleitung für das Vorgehen. Zunächst galt es, aus Japan die beste Binchōtan-Qualität zu erhalten. Dann musste die graue Außenbeschichtung, die beim Grillen nicht stört, entfernt werden, um das fein gemaserte Schwarz freizulegen. Glücklicherweise gelang dies durch mehrmaliges Waschen.

Der erste Schritt ist das Abwaschen der weißen Beschichtung der Binchotan-Holzkohle.

Der erste Schritt ist das Abwaschen der weißen Beschichtung der Binchotan-Holzkohle.

Der nächste Schritt war das Aufbereiten der Scheiben für die Verwendung als Zifferblatt. Binchōtan ist ein organisches Material, weshalb die Qualität der Scheiben sehr unterschiedlich und oft unvorhersehbar ist, wenn man nur die Außenseite des jeweiligen Holzkohlestücks sieht. Wird es in Scheiben geschnitten, kann man auf Löcher, Risse oder Astansätze stoßen, die oft unansehnlich sind. Deshalb müssen immer mehrere Scheiben geschnitten werden, bis man ein attraktives Maserungsmuster findet. Nach der Auswahl der geeigneten Scheiben werden diese auf das definitive Maß zugeschnitten und mit den erforderlichen Bohrungen versehen. Danach stehen diese Zifferblatt-„Leinwände“ den Kunsthand­werkern von Blancpain für zusätzliche Dekorationen zur Verfügung.

Jede Métiers-d’art-Kreation von Blancpain ist ein Unikat und damit eine auf ein Exemplar limitierte Auflage. Dies gilt auch für die Arbeiten mit Binchōtan. Die ersten vier Binchōtan-Zifferblätter zeugen von den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für diesen Werkstoff sowie von den zusätzlichen künstlerischen Fertigkeiten, mit denen diese einzigartige schwarze Leinwand geschmückt und ergänzt werden kann.

BINCHOTAN
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Blancpain hält sich an die TRADITIONELLEN JAPANISCHEN Baumharz-LACKVERFAHREN.

Das erste Zifferblatt trägt den Namen „Shinto Gate“. Hier besteht der gesamte Hintergrund aus Binchōtan. Um seine Oberfläche für zusätzlichen Schmuck vorzubereiten, wird er lackiert. Japan ist für seine meisterlichen Lackarbeiten bekannt; die Verfahren, um aus Baumharz Lack herzustellen, haben jedoch ihren Ursprung in China. Dort verwendete man Lack zunächst für opulente kunsthandwerkliche Objekte, die zum Teil vollständig aus Lack bestehen. Wegen seiner jahrzehntelangen Beständigkeit setzte man Lack aber auch für die Bestattungstechniken und Grabbeigaben des Adels ein. In der chinesischen wie japanischen Lackkunst werden vergleichbare Verfahren für die Herstellung von Lack aus den Rindensekreten bestimmter Baumarten wie dem Lackbaum (Rhus verniciflua) eingesetzt.

Blancpain hält sich an diese traditionellen Verfahren mit Naturlack. Zunächst wird der Baumharzlack mit einem extrem feinen Tuch gefiltert, damit er absolut rein ist. Danach lackiert man die Oberseite der Binchōtan-Scheibe sorgfältig mit mehreren Klarlackschichten, die jeweils zwei Tage zum Aushärten benötigen. Diese Behandlung verleiht der Oberseite nicht nur einen dezenten Glanz, der die natürliche Maserung hervorhebt, ein zusätzlicher Vorteil sind die schon von den alten Chinesen entdeckten konservierenden Eigenschaften.

BINCHOTAN
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Nach Abschluss der Klarlackbeschichtung wird eine fein gravierte dreidimensionale Rotgoldapplike in der Mitte des Zifferblatts positioniert. Sie hat die Form eines Tores, dessen Giebel beidseits von einer dreiteiligen Säulenkonstruktion gestützt wird. Eine Zeichnung in dezenten Linien deutet rund um das Tor eine Landschaft mit schimmerndem Wasser, Hügeln im Hintergrund und Wolken an. Sie ist mit traditionellem rotem Urushi-Lack ausgeführt, der aus Japan importiert wird und die japanische Thematik verstärkt. Diese Malerei erfordert äußerst feine Pinselstriche.

Völlig andere Techniken wurden bei der Kreation des Zifferblatts mit dem Thema „Fleur de Lys“ angewandt. Statt einer Binchōtan-Scheibe bildet hier eine Rotgoldplatte die Unterlage, auf der die Konturen der Lilienblüten und kleinen roten Früchte eingraviert werden, wobei dadurch feine Goldfäden angehoben werden. Die Zwischenräume für die Früchte werden mit rotem Email gefüllt, das bei 800 °C gebrannt wird. Die Lilien erfordern ein noch feineres künstlerisches Können, da jede einzelne Blüte in die präzisen Formen der feinen Goldfäden eingepasst wird, welche die Aussparungen begrenzen. In gewisser Weise kommt hier eine Kombination zweier traditioneller kunsthandwerk­licher Verfahren zum Einsatz: Intarsien- oder Einlege­arbeiten sowie Champlevé-Email, bei dem man in der Goldplatte Vertiefungen aushebt, die dann mit einem feinen Pinsel mit Email gefüllt werden. Viele Binchōtan-Scheiben sind erforderlich, denn einerseits muss der Kunsthandwerker nicht nur makellose Bereiche auswählen, aus denen er den Umriss der Blume ausschneiden kann, andererseits braucht er ein erfahrenes Auge, um die Form so auszurichten, dass die Maserung mit der Kontur harmoniert. Jedes der zugeschnittenen Blumenstücke erhält dann die gleiche Klarlackbehandlung wie das „Shinto Gate“-­Zifferblatt, bevor sie in die Aussparungen zwischen den Feingoldfäden eingesetzt werden. Anschließend verziert man die Blumenteile mit feinem Goldlack. Dieser wird bei Blancpain hergestellt, indem man den bereits erwähnten traditionellen Baumharzlack mit Goldpulver mischt und wiederum mit extrem feinen Pinseln auf die Umrisse der Binchōtan-Blumenintarsien aufträgt.

BINCHOTAN
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Ein wieder anderes künstlerisches Verfahren kam beim Zifferblatt „Kurikara Fudo“ zum Einsatz. Für dieses Zifferblatt wurde eine schwarze Binchōtan-Scheibe auf eine Rotgoldplatte appliziert. Dann gravierten die Kunsthandwerker von Blancpain das atemberaubend detaillierte Bild der buddhistischen Gottheit „Acala“ in Form eines Drachens für die Applike. Um der aufwendigen Schnitzerei eine besondere Patina zu verleihen, nutzt die Manufaktur eine Technik, die sie in der Welt der Uhrmacherei eingeführt hatte: das Shakudō. Die Goldgravur wird in ein spezielles, in Japan entwickeltes chemisches Bad getaucht, das dem Gold eine subtil schattierte Patina verleiht. Nachdem diese erreicht ist, wird eine Perlmuttscheibe in den einen Vorderfuß des Drachens eingesetzt und mit seinen Krallen gesichert. Der sorgfältig skulptierte Drachenkörper wird von feinen Goldfiligranen gerahmt, die sowohl bei ihrer Kreation wie bei der Befestigung zusammen mit dem Drachen auf der Zifferblattoberfläche eine geschickte Hand erfordern. 

Das vierte Binchōtan-Zifferblatt bietet eine Neuinterpretation des 1830 entstandenen berühmten Farbholzschnitts Die große Welle vor Kanagawa von Hokusai, einer ikonischen Darstellung der Urgewalt des stürmischen Meeres. 2016 hatte Blancpain dieses Motiv erstmals in einer feinen Weißgoldgravur auf einem Zifferblatt verewigt, die ebenfalls subtil mit Shakudō patiniert und auf einer Scheibe aus mexikanischem Obsidian montiert worden war (siehe Lettres du Brassus Ausgabe 17). Die Binchōtan-Unterlage sorgt hier für eine andere Tonalität.

Mit der erstmaligen Nutzung von Binchōtan in der Welt der Uhrmacherei steht den Kunsthandwerkern in Le Brassus mehr als nur ein für sie neuartiger Werkstoff und eine neue Technik zur Verfügung. Diese Kreation zeugt einmal mehr vom Streben der Manufaktur in Le Brassus, auf der unablässigen Suche nach neuen Inspirationen die Grenzen des Kunsthandwerks immer weiter hinauszuschieben. •

 Die Binchotan-Version der Großen Welle vor Kanagawa.  Das „Kurikara Fudo“-Zifferblatt.

Die Binchotan-Version der Großen Welle vor Kanagawa. Das „Kurikara Fudo“-Zifferblatt.

Kapitel 03

700 Haie IN DER NACHT

Faszinierende Begegnungen im Pazifik.

Autoren der Kapitel

LAURENT BALLESTA
700 Haie IN DER NACHT
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