Kapitel 2
Einblick ins Handwerk der Komplikationsuhrmacherei
ES GIBT ORTE, BEI DEREN NENNUNG FREUNDE EDLER UHREN INS SCHWÄR MEN GERATEN. DAZU GEHÖREN DIE ECHTEN MANUFAKTUREN. ZUM BEISPIEL DIE IN LE BRASSUS IM VALLÉE DE JOUX IN EINE FAST EBENSO OFT VERSCHNEITE WIE GRÜNENDE LANDSCHAFT GEBETTETE MANUFAKTUR BLANCPAIN. DIESES REFUGIUM DER UHRMACHERKUNST BEHERBERGT EIN AUSSERGEWÖHNLICHES HANDWERKLICHES SAVOIR-FAIRE. UM SICH DAVON ZU ÜBERZEUGEN, GENÜGT ES, INS ALLERHEILIGSTE SANKTUARIUM EINZUTRETEN: DIE WERKSTATT FÜR MINUTENREPETI TIONEN. DENN HIER WIRD DIE FASZINIERENDE MUSIK DER ZEIT KOMPONIERT UND GESPIELT.
In jeder Manufaktur ist die Werkstatt für Komplikationen ein privilegierter Ort, der eine Fülle außergewöhnlicher Fähigkeiten vereinigt. Viele Uhrmacher träumen von der Lehre an davon, als Krönung ihrer Laufbahn eines Tages hier zu arbeiten. Und die absolute Spitze in dieser eigenen Welt ist es, sich über die Tourbillons, ewigen Kalender und wandernden Zeitgleichungen hinaus mit der Königin der Komplika tionen zu befassen, der ein eigener Raum vorbehalten ist, die Werkstatt für Minuten repetitionen. Man betritt sie mit angehaltenem Atem und auf den Zehenspitzen, um dem zarten Geläut der Stunden, Viertelstunden und Minuten zu lauschen.
Dong! Dong! Dong! Dong! Ding dong! Ding dong! Ding! Ding! Ding! Ding! Ding! Man kennt die Musik, die in die Vergangenheit zurückführt, in die Zeit der Taschenuhren, die aufs Nachttischchen gelegt wurden, als es noch keine Elektrizität gab und es bequemer war, die Zeit zu hören, statt eine Kerze anzuzünden, um sie abzulesen. Glücklich der Besitzer eines solchen kleinen mechanischen und akustischen Wunderwerks. Er brauchte nur den Schlagwerkhebel zu betätigen, und schon lieferte die Minutenrepetition ihre klingende Zeitansage. An der traditionellen Klangfolge hat sich nichts geändert: tiefe Töne für die Stunden, hohe für die Minuten, die nach den Viertelstunden folgen, welche abwechselnd mit einem hohen und tiefen Ton geschlagen werden. Man braucht also nur zu zählen, im vorstehenden Beispiel vier Stunden, dann zwei Viertelstunden und fünf Minuten. Es ist also 4.35 Uhr in der Früh: zu früh, um aufzustehen …
Fünf bis sechs Wochen pro Uhr
In Le Brassus zählt die Werkstatt für Komplikationen achtzehn Mitarbeitende unter der Leitung von Mustapha Ahouani. Der Franzose marokkanischer Herkunft, ein kompletter Uhrmacher, wie es nur wenige gibt, kann in seinem Beruf so ziemlich alles. Selbst die kompliziertesten Stücke, die durch seine Hände gehen, haben für ihn keinerlei Geheimnisse. Das Durchschnittsalter seines Teams liegt zwischen 33 und 34 Jahren, der Jüngste ist 25: „Das ist jung für jemanden, der schon hier arbeitet, denn um diese Komplikationsmechanismen zu meistern, braucht man Erfahrung. Aber es ist möglich. Alles hängt vom uhrmacherischen Können, vom Geschick und der Motivation ab. In jedem Fall muss man von seinem Metier begeistert sein. Es dauert ohne weiteres fünf, sechs Wochen, um einen solchen Zeitmesser fertigzustellen, manchmal auch länger. Das braucht viel Geduld und Fingerfertigkeit. Und um so weit zu kommen, muss man während der Ausbildung an die richtigen Personen geraten.“
Von der blanken Platine aus
Sein Stellvertreter, Laurent Salomon, nickt zustimmend, ist er doch überzeugt, im richtigen Augenblick die Richtigen kennengelernt zu haben. Jene, die einen mit dem Virus anstecken, einem Vertrauen einflößen und ermöglichen, Fortschritte zu machen. Und die Lust wecken, noch weiter voranzukommen, und die einem dabei helfen, denn alles hängt vom Weitergeben des uhr macherischen Know-hows ab, des so oft beschworenen Savoir-faire. Laurent leitet die Werkstatt für Minutenrepetitionen und ist auf seinem Gebiet unerschöpfl ich. Wie spezialisiert man sich als Uhrmacher auf diese Spitzenkomplikation? „Das ist ein langer Weg. Man beginnt mit der Montage eines einfachen Uhrwerks, dann geht man allmählich zum Feinstellen oder Regulieren der Uhr über. Danach macht man sich mit zusätzlichen Werkplatten vertraut, dem einfachen Kalender (Datumanzeige), dem Jahreskalender, dem ewigen Kalender. Dann lernt man eine Uhr mit Tourbillon oder vielleicht eine wandernde Zeitgleichung fertigstellen. Mit dem Repetierwerk erreicht man den Gipfel. Und dafür muss man schon allerhand können, denn in der gesamten Uhrenbranche sind diese Stellen gesucht, gibt es doch nur wenige Betriebe, die wirklich alles von A bis Z machen. Hier haben wir das Glück, von der blanken Platine ausgehen zu können.“
In Le Brassus kümmern sich insgesamt sechs Uhrmacher um die répètes, wie sie hier umgangssprachlich genannt werden. Vier davon – Romain, Félicien, Laurent, Michaël – montieren sie, der fünfte – Norbert – sorgt für den Kundendienst, während der sechste – Georg – die Repetition ebenfalls im Kundendienst wiederfindet, und zwar in der berühmten 1735. Dieses Modell wurde nur in 30 Exemplaren angefertigt, doch die Wartung benötigt selbstverständlich sehr viel Zeit und beschäftigt den hochspezialisierten Uhrmacher voll und ganz. Mustapha Ahouani: „Leider benutzen gewisse Kunden diese kostbaren Zeitmesser wie Sportuhren, obwohl sie ausdrücklich als nicht wasserdicht deklariert sind. Gelegentlich kommen sie vollständig eingerostet zurück, und es dauert sechs Monate, bis sie wieder einwandfrei funktionieren. Dieses Problem haben wir auch mit den herkömmlichen, «einfachen» Minutenrepetitionen, bei denen die Dichtigkeit des besseren Klangs wegen vernünftigerweise gar nicht angestrebt wird – außer für gewisse Kleinserien. Unser jüngstes Kaliber ist zwar wieder wasserdicht, doch es ist ganz klar viel schwieriger, für eine Uhr mit Schlagwerk ein solches Gehäuse anzufertigen.“
Ein zusammengeschweißtes Team
Die Belegschaft ist klein und hält zusammen, obwohl jeder sich naturgemäß auf die Uhr auf seinem Werktisch konzentriert. Wenn man den Produktionsrhythmus sieht, die Art der Arbeit, die Sorgfalt, die auf die kleinste Kleinigkeit verwandt wird – nicht nur aus ästhetischen, sondern aus entscheidenden funktionellen Gründen –, fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Tatsache, dass jeder Zeitmesser von A bis Z vom selben Uhrmacher gefertigt wird, was auch in den Manufakturen selten geworden ist. Das ist zwar nicht uninteressant und man kann sich die Vorteile sofort vorstellen, allerdings auch die Nachteile, in so einer isolierten Zeitblase zu leben. Denn so sehr die vollständige Fertigung einer Minutenrepetition durch ein und denselben Uhrmacher zweifellos eine Garantie für Qualität ist: Mit der allzu häufig angestrebten Produktivitätssteigerung lässt sie sich nicht vereinen.
Jeder Uhrmacher hat seine Kniffe, seinen Stil, sein eigenes Ohr, weshalb jede Minutenrepetition in gewisser Weise ein Einzelstück ist. Heißt das, dass man merkt, wer sie gebaut hat, wenn sie zum Beispiel für den Kundendienst zurückkommt? Der Leiter der Werkstatt für Komplikationen lächelt: „Der Uhrmacher, der sie montiert hat, sicher. Aber gesamthaft gesehen unterscheiden sich die Uhren nicht voneinander. Was wir hier anstreben, ist ein einheitliches Vorgehen, eine Methodik, eine Weitergabe des Savoir-faire, um sämtliche Abläufe von der Vormontage der Werkkomponenten bis zum Einschalen ins Gehäuse nachvollziehbar zu beschreiben. Auf dieser Basis muss die Arbeit identisch sein. Danach findet man selbstverständlich den kleinen persönlichen Touch wieder, etwa beim Dekor oder bei den mehr oder weniger schräg anglierten Kanten der Einzelteile.“
Das Savoir-faire erhalten
Ziel dieses Vorgehens, das auf dem Gespräch und dem Austausch beruht, ist es, die Qualität sämtlicher Stücke sicherzustellen und so Gewähr für die Homogenität der Produktion bis zur Spitze der Pyramide zu leisten. Gleichzeitig wird so das uhrmacherische Savoir-faire über das Produkt hinaus erhalten. In den Werkstätten hat sich die Mentalität geändert. Früher bewahrte jeder Uhrmacher seine eigenen kleinen Kniffe eifersüchtig für sich und nahm sie in die Rente mit. Heute ist Schluss mit der Geheimnistuerei, Leitmotiv ist im Gegenteil die Weitergabe des Wissens und der Fertigkeiten, der Austausch der Informationen, Beobachtungen, Ideen … „Es gibt keine Geheimnisse“, versichert der Werkstattleiter, „das Teilen innerhalb eines kleinen Teams schafft ein Klima des Vertrauens im Atelier, einen Geist des Zusammenhalts, der unbestreitbar zur Qualität des Endprodukts beiträgt.“
Der Kundendienst als absoluter Indikator
Die Fertigung der Komplikationsuhren und der Kundendienst sind in Le Brassus eng verschränkt, und zwar aus verschiedenen Gründen. Der Kundendienst ist das definitive Maß für die Qualität der Arbeit. Zudem stellt er eine Goldgrube an äußerst nützlichen Informationen dar, welche den Uhrmachern erlaubt, die Qualität der Zeitmesser immer wieder zu steigern und weiterzuent wickeln. Wird eine Uhr retourniert, ist das nicht unbedingt wegen eines Montagefehlers. Abgesehen von den Retouren nach Beschädigungen durch den Besitzer kann auch ein konstruktions bedingtes technisches Problem die Ursache sein. Geht es auf die Abnutzung zurück, muss man sich vielleicht die Wahl der Werkstoffe neu überlegen. Das reale „Leben“ der Uhr am Hand gelenk und auf Dauer ist der unbarmherzigste aller Tests. Die Analysen der Spezialisten in der Werkstatt für Komplikationen liefern wichtige Erkenntnisse, die über alle Stufen hinweg weitergegeben werden und so erlauben, neue Produkte nach haltig zu verbessern.
Ein anderer praktischer Grund erklärt diese enge Zusammenarbeit zwischen der Fertigung und dem Kundendienst der Komplikationsuhren, nicht zuletzt, weil die Organisation der Arbeit in diese Richtung geht und dem Komplikationsuhrmacher viel Flexibilität abverlangt. Er erhält von der im benachbarten Le Sentier domizilierten maschinellen Produktion von Blancpain ein Kit mit sämtlichen Einzelteilen, die er für die Montage eines bestimmten Kalibers benötigt. Damit wird er je nach Schwierigkeitsgrad des Zeitmessers eine bis mehrere Wochen beschäftigt sein, fünf bis sechs für eine Minutenrepetieruhr. Er widmet sich dieser Arbeit voll und ganz, mit all der Konzentration und Ruhe, wie sie die Fertigung erlesener Mechanismen erfordert. Fällt jedoch etwas Dringenderes an, legt er seine Arbeit beiseite und erledigt zuerst das Eilige. „Wird eine neuere, noch unter Garantie stehende Uhr retourniert, müssen wir sofort reagieren und sie dem Kunden so schnell wie möglich zurückschicken können. Häufig handelt es sich ja nur um einen ganz kleinen Eingriff. Das kann ein technisches Problem sein, oder es ist etwas zerbrochen, weil die Uhr heruntergefallen ist.“
Reparaturen dauern selbstverständlich je nach Art des Eingriffs unterschiedlich lang. „Für das Stück, das wir heute morgen erhalten haben, eine Carrousel Répétition Minutes der Kollektion Le Brassus, rechnen wir mit etwa vierzehn Tagen, die ästhetische Kontrolle sowie jene der technischen Funktionen und der Gangreserve inbegriffen. Paradoxerweise benötigt der Uhrmacher für seinen Eingriff bei dieser Art Uhren weit weniger Zeit, als anschließend die Kontrollen dauern.“ Doch für einen qualitativ einwandfreien Kundendienst sind diese gründlichen Kontrollen unerlässlich. Deshalb müssen sich die Kunden manchmal mit Geduld wappnen. Als echte Liebhaber edler Uhren wissen sie jedoch, wie wichtig die Wartung ist. Trotzdem gilt die Regel, die Uhr so schnell wie möglich einwandfrei repariert und mit aufgefrischtem Gehäuse zu retournieren.
Die Eigernordwand
Wieso ist die Minutenrepetition eine derart schwierige Komplikation? Ob bei der Herstellung oder später bei der Reparatur und Wartung wird sie in jedem Fall nur einem kompletten Uhrmacher anvertraut. Bei der Carrousel Répétition Minutes handelt es sich ja um eine Uhr mit 450 Einzelteilen, deren Zusammenspiel perfekt funktionieren muss. Das ist zweifellos nicht jedermanns Sache. Alle Uhrmacher wissen das und zollen der professionellen Leistung der Spezialisten für diese Komplikation großen Respekt. So wie alle Bergführer und erfahrenen Alpinisten vor jenen den Hut ziehen, die die Eigernordwand durchstiegen haben.
Jedes Stück ist ein Abenteuer, das den Geist des Handwerkers während Wochen voller Emotionen gefangennimmt, wobei auch Rückschläge nicht immer ausbleiben. Da sind so viele Schwierigkeiten zu bewältigen, oft mit der Notwendigkeit, ein Problem hundertmal neu anzugehen, bereits Montiertes wieder zu zerlegen, Teile zu überholen, Einstellungen zu korrigieren. Das ist psychisch nicht immer leicht zu bewältigen. Laurent erinnert sich: „Manchmal ging ich abends völlig erledigt nach Hause und war ganz mit dem Problem beschäftigt, das es zu lösen galt. Aber mit wachsender Erfahrung, wenn man weiß, dass man schließlich immer eine Lösung findet, relativiert man das, und das ist auch besser für unser Umfeld. Völlig abschalten kann man eigentlich nie, und das gilt, glaube ich, für uns alle hier in der Werkstatt. Man hat davon geträumt, den Beruf auf diesem hohen Niveau auszuüben, und zahlt dafür vielleicht auch einen Preis, aber ohne dies zu bedauern.“
Die Hauptschwierigkeit
Bei der großen Komplikation einer Minutenrepetition, die ein Uhr- mit einem Schlagwerk kombiniert, liegt die Hauptschwierigkeit nicht nur in der Zahl der Einzelteile, sondern in deren Natur und Abmessungen. Denn die Grundherausforderung ist, ein derart vielfältiges und kompliziertes Ensemble in einem eleganten Zeitmesser unterzubringen, der am Handgelenk getragen werden kann.
Wie funktioniert die Repetieruhr? Grundsätzlich so, dass Sie in dem Augenblick, in dem Sie die genaue Zeit hören wollen, einen Hebel spannen müssen. Dieser ist bei praktisch sämtlichen Minutenrepetitionen auf dem Mittelteil sichtbar und zieht eine Feder auf, die nach dem Los lassen das Schlagwerk sofort mit der notwendigen Kraft versorgt, um seine akustische Botschaft abzuliefern. Dabei muss betont werden, dass das Schlagwerk dem Handaufzug- oder Auto matikwerk für die Zeitanzeige keine Energie wegnimmt, so dass dieses durchaus weitere Komplikationsmechanismen antreiben kann, ob zusätzliche kalendarische Anzeigen oder etwa eine mit Automaten belebte Szene.
Das Reich der Taster
Mit dem Spannen des Hebels haben Sie die erforderliche Energie für den Schlagwerkmechanismus geliefert. Er nutzt sie sofort, indem er die Hämmer aktiviert, welche auf die Ton- oder Klangfedern schlagen. Doch damit das auf die Minute genau mit der richtigen Anzahl Schläge entsprechend der aktuellen Uhrzeit geschieht, muss das Schlagwerk diese Zeitangabe mechanisch suchen gehen. Diese Aufgabe erledigen die Taster, feine Hebel, welche die exakte Position des Stundensterns erfassen und dem Umfang eines Nockens oder einer Schnecke folgen. Oder wie das die Spezialisten bei Blancpain sagen: „Eine Minutenrepetition, das ist eine Geschichte von winkligen Verschiebungen. Es geht darum, mehr oder weniger tiefe Winkel zu durchlaufen, um eine bestimmte Uhrzeit zu schlagen.“ Diese Operation benötigt jedoch weit weniger Zeit als ihre Beschreibung, und deshalb lässt das Schlagwerk praktisch augenblicklich nach dem Loslassen des Spannhebels die Musik der Stunden, Viertelstunden und Minuten erklingen.
Dieser Mechanismus ist äußerst schwierig zu realisieren, er erfordert absolute Präzision und sehr feine Einzelteile. Die im Kit gelieferten Komponenten berühren sich, wenn sie montiert werden. „Wir justieren eine Komponente nach der andern so, dass sie möglichst wenig Spiel haben.“ Doch wieso produziert man sie nicht gleich maschinell in der richtigen Stärke? „Das ist unmöglich, denn bei diesem Maßstab befinden wir uns innerhalb der Produktions toleranzen, dem erlaubten Plus oder Minus an Tausendstelmillimetern. Das Justieren sämtlicher Elemente muss von Hand gemacht werden, indem man von Fall zu Fall mehr oder weniger Material abträgt.“
Das Komponenten-Geschenkpaket
Der Uhrmacher, der die Minutenrepetitionen montiert, benutzt eine ganze Palette von Feilen unterschiedlicher Stärke und zahlreiche besondere Werkzeuge, die für die Herstellung einfacherer Stücke nicht benötigt werden. Die Komponenten werden systematisch rolliert, um den vorzeitigen Abrieb zu verhindern. „Würden wir beispielsweise die Schöpfer des Rechens nicht rollieren, gingen sie schon nach zehnmaliger Benutzung kaputt!“ präzisiert Laurent Salomon, bevor er ausführlich die verschiedenen Etappen der Montage beschreibt, ausgehend von der Entgegennahme des Kits, des „Geschenkpakets“ aus Le Sentier. Zunächst einmal werden sämtliche Komponenten kontrolliert, von denen manche bereits verziert sind, wie die Brücken und alle Teile, welche vom Monteur nicht manipuliert oder retouchiert werden müssen. Er wird dann für die ästhetische Endbearbeitung aller anderen Komponenten durch Anglieren und Langziehen sorgen, nachdem er die dreidimensionalen Retouchen erledigt hat.
Die Arbeit beginnt mit der Prüfung der Oberfl ächenbeschaffenheit der Federn, dann folgt die Vormontage eines Mechanismus wie des Schlagwerk-Geschwindigkeitsregulators. Es geht darum, für ein möglichst geringes, aber doch ausreichendes Spiel zu sorgen. Danach nimmt der Uhrmacher ein zweites kompliziertes Element in Angriff, dann ein drittes und so weiter. All diese Elemente werden nach und nach poliert, je nach Werkstoff mit einer besonderen kleinen Mixtur.
Montieren und demontieren
Manchmal muss man auf eine Vormontage zurückkommen, zum Beispiel, wenn die Komponente in der nächsten Etappe zu wenig Spiel hat. Dann muss sie zerlegt, überarbeitet und erneut montiert werden. Jede Komponente, die in die Minutenrepetition eingesetzt wird, muss sofort justiert werden. „Üblicherweise sind die Löcher für die Rechenschaufeln immer kleiner als die Wellen, und der Uhrmacher muss sie anpassen. Er muss immer etwas Material entfernen, damit er die Komponente mit dem idealen Spiel und mit optimaler Sicherheit justieren kann. Das gilt auch für die Sterne. Sie werden mit einer hochpräzisen Reibahle auf den Tausendstelmillimeter genau retouchiert.“ Für sämtliche Vormontagen muss man fast eine Woche Arbeit rechnen. Dann folgt die Montage des gesamten Werks, also der Zusammenbau sämtlicher vormontierten Elemente mit der Aufzugwelle, den Trieben, dem Räderwerk für das Richten und dem Retouchieren sämtlicher Spiele à sec, denn bis zu diesem Stadium wird noch nichts geölt.
Die nächste Etappe betrifft das Regulierorgan, das mit einer Spiralfeder mit Breguet- Endkurve ausgestattet ist. Nach der Montage des Räderwerks kann das Basiswerk, ob mit Handoder Automatikaufzug, geölt und justiert werden. Erst wenn seine Ganggenauigkeit bei der Regulierung in den sechs üblichen Positionen den Toleranzen genügt, kann sich der Uhrmacher „dem interessantesten Teil“ zuwenden, dem Schlagwerk beziehungsweise dem Mechanismus der Minutenrepetition selbst.
Die Welt der Töne
Bereits sind drei Wochen vergangen, und der Zusammenbau geht weiter. Jetzt werden die Komponenten im Bezug zueinander justiert. Bei dieser Montage à blanc geht es um das Zusammenwirken sämtlicher Elemente bezüglich des Spiels und der Einteilung der Tonwerte. Ding! Dong! Der Abstand zwischen diesen beiden Tönen muss mindestens zwei Stufen betragen, das ist die Regel. Die Höhe einer Note wird durch die Länge der Tonfeder bestimmt, diese wird also entsprechend zugeschnitten. „Wir versuchen nicht, einen bestimmten Ton zu erzeugen, etwa ein La oder Do“, präzisiert Laurent. „Uns kommt es auf den Abstand an. Wenn wir den haben, können wir die Federn stimmen. Für einen kristallklaren Ton muss die Feder frei vibrieren können. Außerdem müssen wir dem Klang genug Volumen verschaffen.“ Dafür werden die Tonfedern – sie bestehen aus Stahlstäben, die auf ihre Halterung aufgeschweißt werden − an der Basis zugefeilt. Die Schweißstelle muss qualitativ einwandfrei, die Halterung perfekt eingepasst und absolut plan sein. Auch die tadellose Verschraubung ist wichtig, denn in Sachen Klang hängt die Perfektion von kleinsten Einzelheiten ab. Durch besonders reichen Klang zeichnen sich sogenannte Kathedralen-Tonfedern aus, die anderthalb Mal um das Uhrwerk führen; gewöhnliche Federn sind nie länger als ein Werkumfang. Ist der Ton irgendwie nicht ganz rein, wird der Befestigungspunkt pfeifenartig schräg zugeschnitten.
Ist alles fertiggestellt, wird das Uhrwerk wieder vollständig zerlegt und alles gewaschen, dann wird es erneut montiert, geölt, mit Zeigern versehen und eingeschalt. Nun ist die Spannung auf ihrem Höhepunkt. Der Klang der Minutenrepetition wurde schon vor dem Einschalen mit gespitzten Ohren geprüft. Nun erklingt sie erstmals in ihrem Gehäuse, das als Resonanzkörper dient. Das ist eine ganz andere Dimension, und diese wichtige Etappe kann immer noch Überraschungen mit sich bringen. Ein Problem mit den Zeigern oder eine falsche Note, und schon muss alles nochmals überarbeitet werden. Bis zum letzten Augenblick ist nichts von vornherein gewonnen. Die Uhrmacher der Werkstatt für Minutenrepetitionen wissen das aus Erfahrung. Und akzeptieren es, weil ja gerade dies das Schöne an ihrem Beruf ist.