Kapitel 2
Nach Jahrzehnten der Funkstille in der Wein-Fachpresse gerät ein Schweizer Dézaley-Weißwein ins Rampenlicht von Robert Parkers Liste der besten Weine des Jahres 2012.
Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf. Stellen Sie sich die Bilder einer Welt aristokratischen Weinbaus vor. Ein prachtvolles Schloss, das dem Glanz von Versailles kaum nachsteht (Sie brauchen den französischen König nicht ins Spiel zu bringen); ebene, gleichmäßig gepflegte Weinfelder, so weit das Auge reicht; blitzblanke Kelleranlagen mit Personal wie in Reinräumen; ein weltweiter Vertriebsapparat, der mit jenem von IBM rivalisiert; jährliche Besuche von Robert Parker mit ehrenden Verkostungsnotizen über Jahrzehnte hinaus. Und natürlich mit einem vollständigen Kapitel über Sie und Ihr Weingut in seiner „Bibel“! Was will man mehr an Glück?
Stellen Sie sich danach den Weinbau in der Schweiz vor, genauer gesagt im Lavaux am Genfersee und dort in den Grand-Cru-Weinbergen von Dézaley, wo die Reben vom Ufer an am bis zu 100 Prozent steilen Hang aufsteigen. Das Lavaux-Weinbaugebiet beginnt am östlichen Stadtrand von Lausanne in der Gemeinde Lutry und reicht fast bis zum Château de Chillon hinter Montreux. Etwa in der Mitte erstrecken sich die knapp 54 Hektar Dézaley-Rebparzellen rund um das Dörfchen Epesses. Statt Schlösser sieht man bescheidene, wenn auch häufig malerische Winzerhäuser. Zum Glück verlaufen die meisten Wanderwege durch die terrassierten Rebberge annähernd horizontal zwischen den etwa 10 000 Mauern, die zusammen rund 400 Kilometer lang sind und die Parzellen an den atemberaubend steilen Rebhängen stützen, die vom See (372 m ü. M.) getreppt gut 300 Meter aufsteigen. Manchmal umschließt eine Terrassenmauer gerade mal eine Rebzeile. Da gibt es keine Wahl: An diesen schwindelerregenden Hochsitzen ist aufwendige Handarbeit angesagt, und dies zu hohen Schweizer Löhnen. Bei den daraus resultierenden Preisen erstaunt es nicht, wenn diese Weine im Ausland kaum zu finden sind. Und das Kapitel in Robert Parkers Buch? Wurde bisher noch nicht geschrieben. Denn das Dézaley taucht ungeachtet seines vollen Jahr tausends
Weinbau in der ausländischen Fach- und Gourmetpresse kaum auf. Was entschädigt für all die Hindernisse und Mühsal, die Steilhänge, die Mauern, die oft gefährliche Handarbeit? Funkstille bei den internationalen Weinjournalisten und -testern … zumindest bisher.
Denn im Januar 2013 nahm Robert Parkers Weinführer den Dézaley Haut de Pierre 2010 der Domaine Blaise Duboux in die Liste der „Best of 2012“-Weine auf. Der Weinpapst – der seit langem mit hohen Bewertungen hektische Käufe auslöst und mit niedrigen Winzer ruinieren kann – sagte Blaise Duboux keinen Augenblick Ruhe voraus, bevor er nicht einen US-amerikanischen Importeur gefunden habe.
Während drei Jahrzehnten hat Robert Parker die Welt märkte für feine Weine praktisch in Eigenregie beherrscht. Obwohl die Chasselasweine aus dem Dézaley in dieser gesamten Zeit seiner Aufmerksamkeit bis fast zuletzt entgangen waren, wissen die Schweizer selbst ebenso wie ausländische Kenner von Schweizer Weinen diese körperreichen Weißen mit ihrem hohen Lagerpotential seit langem zu schätzen. Hier im Dézaley findet die Chasselas- oder Gutedeltraube eine perfekte Verbindung von Boden und Mikroklima.
Die ältesten schrift lichen Zeugnisse des Weinbaus im Waadtland stammen aus dem 9. Jahrhundert. Im Dézaley wie im gesamten Lavaux geht er jedoch auf das 12. Jahrhundert zurück, als Zisterziensermönche, die im 11. Jahrhundert von den burgundischen Mutterabteien Cîteaux und Vougeot hierhergekommen waren und Land erhielten, die der Rechtsprechung des Bischofs von Lausanne unterstellten Klöster Hauterive und Hautcrêt gründeten. Sie und später ihre Pächter bauten die Terrassen und Fahrsträßchen im gesamten Lavaux. Ein Dokument von 1331 legt fest, wie die Terrassen anzulegen sind, und erwähnt Terrassenbreiten von 10 bis 15 Metern (manche sind zwar viel schmaler), die durch 5 bis 6 Meter hohe Mauern gestützt werden müssen. 1391 wurden die Weinbauern zudem verpflichtet, die Mauern und die rutschenartigen Wasserabflüsse instand zu halten. Bei der Reformation 1536 geriet die Waadt unter die Herrschaft der Stadt Bern, die Klöster wurden aufgelöst, und wohlhabende Berner Patrizierfamilien begannen im Lavaux Land zu erwerben. Von da an und vor allem nach dem Ende der Alten Eidgenossenschaft , als Lausanne 1803 Hauptstadt des neuen Kantons Waadt wurde, baute man die Terrassen und Straßen weiter aus. Letztere verbanden schließlich all die kleinen Winzerdörfer untereinander, und später kamen die Bahnlinie am See
Viele Weingüter im Lavaux sind historisch mit Gemeinden verbunden, die oft weitab von dieser Weinbauregion liegen, zum Beispiel die Domaine de Montagny, die der Gemeinde Payerne in der Nähe des Neuenburger Sees gehört.
Das Dézaley wurde von Zisterziensermönchen, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts aus dem Burgund hierhergekommen waren, gerodet und mit Reben bepflanzt. Später, nach der Reformation von 1536, fielen zwei renommierte Güter aus dem Besitz der aufgehobenen Klöster an die Stadt Lausanne, den Hauptort des Kantons Waadt: der Clos des Moines des Klosters Haut-Crêt und der Clos des Abbayes des Klosters Montheron. Ihre Weine werden seit 1803 jeweils im Dezember öffentlich versteigert.
und jene zwischen Lausanne und Bern hinzu. Diese einzigartige Geschichte ebenso wie die atemberaubende Landschaft und die Erhaltung der alten Ter rassen bewogen die Unesco, das Lavaux zum Welt kulturerbe zu erklären.
Man kann sich fragen, ob es blindes Glück oder bemerkenswerte Weitsicht war, die die Mönche bewog, dieses Terroir für ihre Weinberge zu wählen. Was immer die Motivation war, die in Handarbeit gebauten Steinmauern an den felsigen Steilhängen schufen ideale Voraussetzungen für die Erzeugung feiner Weine. Der Boden besteht aus Moränen, Mergelablagerungen des Rhonegletschers, dessen Aktivität den Fels lockerte und mit Sauerstoff belüftete. Mit einer südwestlichen Exposition badet das Dézaley nicht nur bis spät in der Nachmittagssonne, sondern profitiert auch von der Rückspiegelung des Sees und der in den Mauern gespeicherten Wärme – die sprichwörtlichen „drei Sonnen“ – sowie den aufsteigenden warmen Brisen. Da die Sommer- und Herbstwochen nicht übertrieben heiß sind – die Voralpen und Alpen sind schließlich nicht fern –, können die Trauben relativ lange hängen bleiben und erreichen eine höhere phenolische Reife als in anderen Chasselas-Anbaugebieten.
Es spielt keine Rolle, ob die Zisterziensermönche diese hervorragende Kombination von Boden, Hanglage, Sonnenexposition und -reflektion wirklich verstanden hatten. Die hier ansässigen Winzer wissen seit Jahrhunderten, was sie daran haben. Die vielleicht bedeutendste Verstärkung der Tugenden des Dézaley-Terroirs fand statt, als in den späten 1980er Jahren ein Klassierungssystem der Weinberge nach dem Vorbild französischer Weinbauregionen geschaffen wurde. Das Dézaley mit seinen bescheidenen 53,8 Hektar Fläche war eine der beiden Appel lationen, die als erste den begehrten höchsten Status eines „Grand Cru“ erhielten.
Die Lettres du Brassus freuen sich, den bekannten Westschweizer Weinjournalisten und -tester Pierre Thomas für die Porträts von vier führenden Vertretern des Dézaley-Weinbaus gewonnen zu haben: Blaise Duboux, Louis-Philippe Bovard, Luc Massy und Les Frères Dubois.
Mit rund sechzig Etiketten ist der Dézaley ein Grand Cru, dessen gleichnamiges Anbaugebiet von weniger als 54 Hektar im Frühling 2013 wieder zur Appellation d’origine contrôlée (AOC) des Kantons Waadt umbenannt wurde, nachdem es drei Jahre zur AOC Lavaux (809 ha) gehört hatte. Die Chasselasoder Gutedelrebe dominiert mit 90 Prozent, wobei jeder Winzer mit den Parametern wie Bodenbeschaff enheit, Lage am Steilhang (in der Höhe oder am Fuß), Dichte der Bepfl anzung usw. auf seine Weise umgeht. Die Verfahren der Weinbereitung bleiben ebenfalls das Geheimnis seines Kellers. Zur Illustration dieses Mittelpunkts des Lavaux zeichnet Pierre Thomas für die Lettres du Brassus das Porträt von vier emblematischen Weingütern des Dézaley
In Deutschland und selbst in Japan ist der Dézaley Chemin de Fer einer der (wenigen) bekannten Schweizer Weißweine, in der Deutschschweiz einer der berühmtesten der Genferseeregion. Und dies seit langem. Denn obwohl die Familie Massy erst seit 1903 in Epesses ansässig ist – verglichen mit anderen Winzerdynastien ist das nicht der Rede wert –, hat sie als erste in den 1920er Jahren ihren Wein in Flaschen abgefüllt und exportiert, statt ihn den Wirten in Fässchen für den Offenausschank zu liefern.
Der erste Massy-Winzer war auf einer Afrika reise an Malaria erkrankt und arbeitete dann im Vallée de Joux in einer Fabrik für Uhren-Lagersteine, die von einem seiner Vorfahren gegründet worden war – was einen Link zu den Lettres du Brassus schafft . Danach suchte er an den Gestaden des Genfer Sees eine bessere wirtschaft - liche Zukunft. „Nach seiner Heirat mit einem Mädchen aus Epesses“, erklärt Luc Massy, „und dem Erwerb einer Rebparzelle in einem Weiler, den man nach dem Bau der Bahnlinie zwischen Paris und dem Simplon ,Chemin de Fer‘ zu nennen begann, hatte mein Großvater den klugen Gedanken, diesen als Markennamen zu nutzen.“
Heute stammen ungefähr 35 000 Flaschen des Chemin de Fer von dieser 3,5 Hektar umfassenden combe (einer trichterförmigen Einbuchtung des Hangs) unweit des Vinoramas – Schaufenster und Weinbar der Crus des Lavaux – an der Seestraße hinter der Bahntrasse zwischen Lausanne und Vevey. Wenn man den amtierenden Präsidenten der Baronnie du Dézaley fragt, was sich in den 110 Jahren seit seinem Großvater im Keller verändert hat, kommt die Antwort schlagartig: „Wir haben nichts verändert! Zwischen der alkoholischen und der malolaktischen Gärung bleibt unser Wein auf derselben Hefe; wir rühren ihn nicht auf, er liegt also von Oktober bis März auf seiner Nährhefe.“ Anschließend wird der Wein im März vorgefiltert, dann dreimal pro Jahr in Flaschen abgefüllt, Ende Mai, im Juli und im September.
Eine weitere Besonderheit ist, dass lediglich ein Drittel ins große Fass kommt. Im natürlich kühlen, in den Fels gehauenen Keller am Eingang des Dorfes Epesses zeigt Luc Massy stolz „sein“ Fass: „Ich habe es mir 2002 zu meinem Fünfzigsten geschenkt. Ein Geschenk von 45 000 Franken!“ Mit einer Spur Selbstironie versichert der Meister des Chemin de Fer: „Der Dézaley ist die Lokomotive der Waadtländer Weine! Der Konsument versteht nicht immer, dass er mehr Geschmack hat und deshalb teurer ist als die anderen Chasselas. Für mich war der Dézaley dank der Verbindung von Terroir und Klima stets ein besonderer Wein. Und die Baronnie du Dézaley wurde 1994 gegründet, um das bekanntzumachen!“
Vierundzwanzig Franken ab Weingut für diesen Weißwein, von dem man heute entdeckt, dass er nicht nur ein hohes Lagerpotential hat, sondern sich wie die alten Champagner entwickelt, ist für einen Grand Cru bestimmt eine gute Investition. „Dieser bescheidene Preis hat mit dem eher schwachen Image des Dézaley zu tun“, räumt Luc Massy ein, der im Keller sämtliche Jahrgänge seit 2001 vorrätig hat. In der Familie ist bereits die vierte Generation dabei: Nach dem Weinbau studium und Auslandaufenthalten (in Argentinien bei Colomé), kehrte Benjamin, 29, vor einigen Monaten nach Hause zurück.
www.massy-vins.ch
Seinen 75. Geburtstag feierte LouisPhilippe Bovard 2010 mit der Einweihung einer schmucken Kellerei im historischen Dorfkern von Cully am Ufer des Genfer Sees. Sie ist für die Produktion zahlreicher Weine in kleinen Mengen eingerichtet. Denn hinter der strengen Brille unter der Schiffermütze von Louis-Philippe Bovard, einem hartnäckigen Verteidiger des Chasselas, verbirgt sich der vife Geist eines unermüdlich Suchenden.
Als Gentleman-Winzer, dessen Gut aufs Jahr 1684 zurückreicht, umgab er sich in den Rebbergen wie im Keller mit erfahrenen Berufsleuten. Der vielversprechende Elsässer Philippe Meyer (Spross der Familie Josmeyer, siehe Lettres du Brassus Nr. 12) wurde Anfang 2013 Kantonsönologe, um die Winzer des ganzen Waadtlands zu beraten. Bei Bovard wurde er durch Caspar Eugster ersetzt, der inter nationale Erfahrung besitzt (Weingüter Hess).
Unter allen Bovard-Weinen ist der Dézaley Médinette (35 000 Flaschen pro Jahr) nach wie vor das Zugpferd. Der Markenname irritiert selbst Französischsprachige: Er ist von einem Tempel in Luxor in Ägypten abgeleitet und zeigt die androgyne, fast jungmädchenhafte (midinette) Figur eines Bacchus des Winzerfests von Vevey anno 1905. Seither blieb dieses Etikett, das der Großvater von Louis- Philippe mit den Worten le plus fin des vins suisses in goldenen Lettern schmückte, unverändert. Hinzugefügt wurden in den 1990er Jahren blaue, rote, grüne oder gelbe Vignetten im Andy-Warhol-Stil zur Kennzeichnung der Jahrgänge. Denn obwohl Louis-Philippe Bovard dem Terroir große Aufmerksamkeit schenkt, legt er noch mehr Wert auf die besonderen Merkmale jedes Jahrgangs. Fragen Sie ihn zum Beispiel, wie es dem Weinberg 2011 ergangen ist, zückt er sein Notizbuch: „Spätes Jahr, heißer Sommer, Regen vor der Weinlese, sonniger und heißer Oktober.“ Obschon die Domaine Louis Bovard einen Chasselas ohne malolaktische Gärung erzeugt und einen weiteren, der in der Eichenbarrique ausgebaut wird, hält sie beim Médinette der traditionellen Vinifi zierung mit dem Ausbau auf der Feinhefe in großen Fässern die Treue.
Nachdem Louis-Philippe Bovard die Terroirs untersucht hatte, begründete er übrigens nach dem Beispiel der Appellation Alsace Grand Cru die Hierarchie der Waadtländer Weine. Oberhalb von Rivaz eröffnete er das Conservatoire mondial du chasselas, ein Konservatorium, das mit 400 Stöcken den Fortbestand von 19 Typen (darunter 5 Klonen) dieser Rebsorte sichert. Bovard gehört zudem zu den Gründern der Winzervereinigung La Baronnie du Dézaley, die die Wertschätzung dieses Grand Cru fördern will. Eine Kommission anerkannter Weinverkoster beurteilt die älteren Jahrgänge (letzter klassierter Jahrgang: 2004), zeichnet sie mit Sternen aus und korrigiert ihr Urteil alle zwei Jahre, je nachdem, wie sich die Weine entwickeln. „Beim Altern verhält sich der Dézaley wie der Marsanne von Tain-l’Hermitage; er ist kein Chasselas, den man jung genießen soll. Die Geschmackselemente verändern sich und verschmelzen zu einem neuen Gleichgewicht“, meint der Patriarch. Das Weingut bietet dreizehn Jahrgänge ab 1999 an – und es sind noch 200 bis 2000 Flaschen von jedem Jahr lieferbar.
www.domainebovard.com
www.baronnie.ch
Die „Brüder“ Dubois sind eine echte Familienpyramide: Sie besteht aus dem Großvater, Marcel, aus Christian sowie seinen beiden Söhnen, Frédéric und Grégoire. Die Brüder sind auch tonneliers: So nennt man im Waadtland beratende Önologen, die als Kellermeister für Drittgüter tätig sind. In diesem Fall produzieren die Dubois auch die Weine der Lavaux-Güter im Besitz der Stadt Lausanne, darunter die beiden namhaft en Dézaley-Weinberge Clos des Moines und Clos des Abbayes. Diese Namen erinnern an die Zisterziensermönche, welche als erste hier Reben anbauten.
Die moderne Önologie hat auch im Lavaux Spuren hinterlassen: In den 1980er Jahren verzichteten mehrere Keller auf die großen Eichenfässer: Sie wurden durch die einfacher zu reinigenden Inox tanks ersetzt, um einen allfälligen „Fehlgeschmack“ der heiklen Chasselasoder Gutedeltraube zu vermeiden. Doch für ihren Dézaley-Marsens de la Tour setzten die Dubois weiterhin auf den Ausbau auf der Feinhefe im Fuder (foudre), dem mächtigen Holzfass. Im Keller, der sich unter dem Le Petit Versailles genannten Herrenhaus am Dorfeingang von Cully befindet – er ist heute mit einer schönen Önothek ausgestattet! –, trug dieses Fass die Bezeichnung „Vase no 4“. Bis 2008 enthielt es 3700 Liter oder das Volumen von 5285 Flaschen zu 70 cl. Dieses Maß entspricht einem halben Pot vaudois und war lange der Schweizer Standard für Flaschenweine, dessen Beibehaltung die Schweizer Gesetzgebung für den nationalen Markt erlaubte. Heute verwenden jedoch immer mehr Winzer das ex port kompatible europäische und inter natio nale Normmaß von 75 cl. Das Fass Nr. 4 der ersten Generation machte nach seinem Zerfall einem anderen mit 6300 Liter Inhalt Platz, was 9000 Flaschen entspricht. Dieser Wein kommt nicht auf den Markt, bevor er zwei Jahre gereift hat.
Als Mitglieder der Baronnie du Dézaley bieten die Frères Dubois alte Jahrgänge des Dézaley ab 1971 an, und dies für Preise von 138 bis 28 Franken pro Flasche, vom Begehrtesten bis zum Jüngsten. Die Chasselas trauben für das Fass Nr. 4 werden rund um ein Wahrzeichen des Lavaux, die Tour de Marsens mit ihren himmelwärts ragenden Zinnen, auf einer Fläche von 2,5 Hektar geerntet. Für diese Réserve spéciale werden nur die besten Trauben verwendet. Die Ernte findet so spät wie möglich statt: Zwischen 2002 und 2012 begann sie nur ein einziges Mal, im Hitzejahr 2003, vor dem 1. Oktober.
Die zweite, sogenannte malolaktische Gärung, die beim Chasselas häufig durchgeführt wird, kommentiert Christian Dubois mit den Worten: „Ohne die Malo hätte man nur den Ausdruck der Sorte, mit der Malo jedoch auch den des Terroirs.“ Das Weingut sucht die Anerkennung durch Wettbewerbe, und dies mit Erfolg! Der Jahrgang 2009 wurde zum zweitbesten Waadtländer Chasselas gekürt, der französische Weinführer Guide Hachette 2013 gab ihm das Prädikat „Coup de cœur“, und an der Expovina in Zürich erhielt er eine Goldmedaille. Eine Goldmedaille gab’s auch am Mondial du Chasselas in Aigle, einem 2012 erstmals durchgeführten Wettbewerb zur Förderung der Weine dieser Rebsorte, die im Kanton Waadt mit 2320 Hektar (61 Prozent des gesamten Weinbaugebiets) flächenmäßig weltweit an der Spitze steht. Und 2013, bei der zweiten Auflage dieses Concours, erhielt der 1984 Dézaley-Marsens de la Tour die beste Klassierung sämtlicher Kategorien mit 93,8 von 100 Punkten.
www.lesfreresdubois.ch
www.mondial-du-chasselas.com
Der 48jährige Blaise Duboux verkündet mit Stolz, dass er die 17. Winzergeneration seiner in Epesses etablierten Familie verkörpert. Der Vorfahr, der der Familie den Namen gab, war einer der Notabeln der Kathedrale von Lausanne, Leopardo de Bosco, der 1242 aus Turin angereist war, um Weinberge in Saint-Saphorin zu verwalten.
Mit seinen 5 Hektar ist dieses Weingut das kleinste des hier vorgestellten Quartetts. „Das ist die obere Grenze dessen, was man selbst schafft. Ich habe nur einen Vollzeitangestellten und Zeitarbeiter für die Laubarbeiten und die Lese.“ Der diplomierte Ingenieur-Önologe von Changins zwischen Lausanne und Genf, der einzigen Schule für Önologie der Schweiz, ist Besitzer in den Grands Crus von Calamin (0,5 ha) und im Dézaley (1,5 ha).
Das Einzelkind – und Vater von drei halbwüchsigen Töchtern – übernahm im elterlichen Weingut 1988 die Vinifi zierung und 2011 den gesamten Betrieb. Der ehemalige Mitarbeiter von Prométerre, einer Waadtländer Vereinigung zur Förderung der landwirtschaft lichen Berufe, ist in Bezug auf die wahren Qualitäten des Dézaley unschlagbar: „Das Wort Terroir defi niert ihn immer noch am besten … mit der Wechselwirkung des Bodens, des Muttergesteins, der Niederschläge, der Hanglage und des Klimas. Und schließlich sind da die sogenannten ,drei Sonnen‘ – das Gestirn selbst sowie die doppelte Rückstrahlung des Sees und der Terrassenmauern – ein echtes Kernkraft werk!“
Blaise Duboux erzeugt zwei Dézaleys. Sein Haut de Pierre besteht aus einer ausgewählten Parzelle von einem halben Hektar mit alten Reben: „Der älteste Stock ist 47, der jüngste 26 Jahre alt.“ Im Durchschnitt produziert die Parzelle 3000 Flaschen. Der andere Dézaley, von dem er rund 12 000 Flaschen keltert, heißt Corniche, nach der Panoramastraße, die sich über dem Dézaley durchs Lavaux windet, von Epesses bis Chexbres. „Seine Reputation verdankt der Dézaley den Zister zienser mönchen. Sie haben das steilste Gelände ausgewählt, um es urbar zu machen!“ Und so stammt denn auch sein Haut de Pierre von Reben, die genau dort gepflanzt wurden, wo das Terrain am abschüssigsten ist. Dort, wo die Moräne seewärts rutschte und die Erde „errötete“. Der Purist sagt, er arbeite „im Sinne des organischen und erneuerbaren Weinbaus“.
Im Lauf der Zeit verfeinerte Blaise Duboux seine Weinbereitung. Er bemüht sich, auf industrielle Hefen zu verzichten, und verwendet nötigenfalls eine „Universalhefe“, die „trockene Weine“ garantiert. Seine auf der Feinhefe im Stahltank ausgebauten Dézaleys kennen weder das große Eichenfass noch die Barrique ...
Blaise Duboux ist zwar nicht Mitglied der Baronnie du Dézaley, präsidiert jedoch seit zehn Jahren die Winzervereinigung Arte Vitis, der dreizehn Weingüter angehören, darunter einige der berühmtesten des Kantons Waadt. Seit dem Frühling 2013 ist er zudem Präsident der Communauté de la vigne et des vins de Lavaux (CVVL). Dass Robert Parkers Magazin Wine Advocate seinen Dézaley Haut de Pierre auszeichnete, freut ihn besonders: „Seit dem 19. Jahrhundert zog in jeder Generation eine Frau unserer Familie in die Vereinigten Staaten, nach New York, Los Angeles oder Florida.“
www.blaiseduboux.ch
www.arte-vitis.ch
Degustations-NOTIZEN
In mehreren Sitzungen degustierten Pierre Thomas (PT) und Jeffrey S. Kingston (JK) Dézaleys, und zwar von den vorgestellten vier Produzenten jeweils den jüngsten und zwei der ältesten.
MÉDINETTE 2011,
DOMAINE LOUIS BOVARD, CULLY
PT: Intensives Gelb; in der Nase feiner Duft nach Anis, weißen Blüten und heißem Stein; off en; im Ansatz recht lebhaft , an der Gaumenmitte üppig; gute Länge, Geschmeidigkeit; Finale auf gelben Früchten und Mandeln. JK: In der Nase Noten von Zitronenzeste, die sich am Gaumen zu Apfel und Ananas mit Vanillenoten entwickeln; beeindruckende Struktur; langes, würziges Finale.
MÉDINETTE 2008,
DOMAINE LOUIS BOVARD, CULLY
PT: Intensives Gelb; würzige Nase (die an den 2011er erinnert), Noten von konfiertem Ingwer; im Ansatz prägnant mit Aromen von konfierten gelben Zitronen; delikates Finale; noch jung und frisch. JK: In der Nase Ananas; große Struktur und üppige Säure; am Gaumen ein echter Tänzer!
MÉDINETTE 2001,
DOMAINE LOUIS BOVARD, CULLY
PT: Tiefes Goldgelb; in der Nase konfierte Früchte, ein wenig Minze, getrocknete Kräuter mit diskreten Noten von Pilzen und Unterholz; am Gaumen Aromen von Orangenzeste und grüner Zitrone; kräftig; bereits auf tertiären Aromen; komplex, Rückkehr zu Säure; Kraft und im Finale ein Hauch Mandarine. JK: In der Nase mineralische Noten und Zitronenzeste; ein etwas strenger, rassiger Wein mit mittelmäßiger Struktur und Aromen von grüner Zitrone, gemischt mit Kräuternoten; Brillanz und eindrucksvolle Frische, wenn man bedenkt, dass er bereits 12 Jahre alt ist!
DÉZALEY-MARSENS DE LA TOUR 2009, VASE NO 4,
LES FRÈRES DUBOIS, CULLY
PT: Gelb mit goldenen Reflexen; in der Nase offen, mit schöner Intensität, Noten von gelben, vollreifen Früchten (Pfirsich); im Ansatz voll, lieblich; viel Fülle mit buttriger Note; ein reich - haltiger und reifer Wein mit Rasse und Komplexität; lang anhaltendes, mineralisches Finale auf Noten von Honig.
DÉZALEY-MARSENS DE LA TOUR 2004, VASE NO 4,
LES FRÈRES DUBOIS, CULLY
PT: Goldgelb; in der Nase Aromen von Passionsfrucht und reifer Mango, die sich am Gaumen im Ansatz bestätigen; angenehme Lebendigkeit und herrliches Volumen mit Fülle und Länge; am hinteren Gaumen Noten von Mirabellen; ein prächtiger Wein aus später Ernte (20. Oktober).
DÉZALEY-MARSENS DE LA TOUR 2000, VASE NO 4,
LES FRÈRES DUBOIS, CULLY
PT: Goldene Reflexe; in der Nase Zitronen- Verveine und konfierte gelbe Zitrone; im Ansatz feine Röst- und Gewürznoten; am Gaumen schönes Volumen; gute Ausgewogenheit mit Noten von Lakritze und einem Hauch Bitterkeit im Finale; beeindruckende Länge.
CHEMIN DE FER 2011, LUC MASSY, ÉPESSES
PT: Kräftiges Gelb; in der Nase buttrig, laktisch, dann Aromen von reifer Mango; im Ansatz auf Karamell; Kraft und Originalität; voll, breit; Finale auf gelben Früchten und Mandeln. JK: In der Nase etwas verschlossen; süßer Apfel und Geißblatt in perfektem Gleichgewicht; ein eleganter, subtiler Wein mit lieblichem Finale.
CHEMIN DE FER 2009, LUC MASSY, ÉPESSES
PT: Tiefe, goldgelbe Robe; in der Nase reif, sonnig, mit Noten von geriebenem Zündholz; im Ansatz geschmeidig mit konfierten Früchten; reich, füllig; wenig Säure; evolutive Noten nach Akazienhonig; Finale auf Süßigkeiten wie Calissons d’Aix (Marzipan und Zitrone). JK: Eine Fülle von mineralischen Noten und Geißblatt, die in der Nase explodieren; reichhaltig und rund, mit einer Spur Überreife; getrocknete Aprikose; eindrucksvolles Finale; ein konzentrierter, massiver Wein.
CHEMIN DE FER 2000, LUC MASSY, ÉPESSES
PT: Intensive goldgelbe Robe; in der Nase getrocknete Banane, geröstete Haselnüsse, Dörrobst; im Ansatz körperreich, füllig; schöne Frische; rauchig-teerige Noten, Mandelmilch, Gebäck; ein herrlicher Wein, körperreich, bemerkenswert kohärent und geradlinig.
HAUT DE PIERRE 2011, BLAISE DUBOUX, ÉPESSES
PT: Goldgelb; mineralische Nase, Eindruck von Erde; im Ansatz frisch; Fülle, Kraft (kein Holz!), Mineralität; am Gaumen weiße Blumen; kräftig, fast tanninig, mit guter Länge im Mund und einer Spur Salz sowie etwas Kohlen- säure im Finale. JK: Mineralische Nase mit Noten von Blüten grüner Zitronen; im Ansatz auf Vanille; am Gaumen rund mit herrlichem Aroma von getrockneten Aprikosen; interessanter Kontrast zwischen dem eher diskreten, schlichten Bouquet und den off enen, üppigen Aromen am Gaumen; außerordentlich reichhaltig und von großer Reife; Finale auf zitroniger Süße.
HAUT DE PIERRE 2010, BLAISE DUBOUX, ÉPESSES
PT: Goldene Robe; schöne Nase, füllig, mit Aromen von Quittengelee, gelben Früchten und süßen Gewürzen; im Ansatz üppig; frische Birnen; Mango; süße Gewürze; schöne Komplexität; etwas Kohlensäure; breites, langes Finale. JK: In der Nase mineralisch und würzig; am Gaumen reich und rund mit Noten von süßem Pfirsich und Vanille; langes Finale.
HAUT DE PIERRE 2003, BLAISE DUBOUX, ÉPESSES
Goldene Robe; in der Nase füllig, sahnig, erinnert an Panettone mit Zitronen - noten, im Ansatz an Lebkuchen; schöne Länge, Frische, konfierte Früchte und eine feine Honignote sowie Aromen von Birnen kuchen. JK: Der Wein spiegelt den Hitzesommer dieses Jahrgangs in Europa wider; in der Nase exotische Früchte (Passionsfrucht), gemischt mit Wein - bergpfirsich und zuckersüßen Aprikosen; reichhaltig, reif und konzentriert.