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Kapitel 8

Die DAMPFERFLOTTE des größten Natursees von Westeuropa

Seit rund 190 Jahren verkehren Dampfschiffe auf dem Lac Léman.

Autoren der Kapitel

YVES JUNOD

Autoren der Kapitel

YVES JUNOD
Die DAMPFERFLOTTE des größten Natursees von Westeuropa
Die DAMPFERFLOTTE des größten Natursees von Westeuropa
Ausgabe 13 Kapitel 8
Die Galionsfigur des Dampfers La Suisse wurde 2003 von dem in der Bretagne lebenden und auf Schiffsdekor spezialisierten Bildhauer Emmanuel Bourgeau neu geschaffen.

Die Galionsfigur des Dampfers La Suisse wurde 2003 von dem in der Bretagne lebenden und auf Schiffsdekor spezialisierten Bildhauer Emmanuel Bourgeau neu geschaffen.

ES BRAUCHT SEINE ZEIT, um in die Geheimnisse der Navigation auf diesem See eingeweiht zu werden.

All diese Berühmtheiten lebten oder leben am Ufer des Genfer Sees, zumindest zeitweise und entweder in der Schweiz oder in Frankreich. Jede hatte somit die Chance, die prachtvollsten Vertreter der Dampfschiffe zu bewundern, die seit 190 Jahren den Lac Léman durchpflügen.

„Immer im Uhrzeigersinn!“ sagt der Mann im blauen Arbeitsgewand, der drei Lehrlinge in die Kunst einweiht, ein Schiffstau korrekt aufzurollen. Ich nähere mich für eine Aufnahme, und er stellt sich vor: „Chenaux“. Ehrlich gesagt habe ich mir nicht vorgestellt, den Ersten Kapitän, den „Admiral“, der Compagnie générale de navigation sur le lac Léman (CGN) auf diese Weise kennenzulernen.

Der Mann, der eine Flotte von 16 Schiffen (mit 150 bis 1200 Plätzen) dirigiert, ist bescheiden. Vielleicht ist das typisch für die Schweiz, wo man mitunter in der Hauptstadt Bern Bundesräten, also Ministern, begegnet, die mit einer Plastiktüte vom Einkaufen kommen.

Olivier Chenaux, der mit 17 Jahren als Malerlehrling zur CGN stieß, kletterte sämtliche Sprossen hoch, bis er 1997 den heutigen Dienstgrad erhielt. Es dauert durchschnittlich fünfzehn Jahre, bis man auf dem Genfer See Kapitän wird. Denn es braucht seine Zeit, um in die Geheimnisse der Navigation auf diesem See eingeweiht zu werden, dessen Schönwetter-Blau sein Ungestüm und Temperament gut kaschiert. Dann dauert es noch drei zusätzliche Jahre vom Grad des Zweiten Kapitäns, der befugt ist, Schiffe mit Dieselmotoren zu lenken, bis zum Ersten Kapitän, der den Zugang zum Genfer-See-Gral erlaubt: das Kommando eines der fünf Belle-Epoque-Dampfschiffe. Über diese Erfahrung wird uns der Erste Kapitän Chenaux gemeinsam mit seinem Vorgänger berichten, dem Ersten Kapitän Aldo Heymoz, der diese Funktion während zwan zig Jahren erfüllte.

Doch zuvor sollte man etwas vertrauter mit diesem außergewöhnlichen Schifffahrtserbe werden: Für den Charme der alten Dampfschiffe sorgt nicht nur der Blick vom Innendeck auf das beeindruckende Schauspiel der riesigen Pleuelstangen der Dampfmaschine. Von außen faszinieren vor allem die Schaufelräder, denn sie verkörpern deren ganze Kraft , wenn sie ins Wasser stechen und das Schiff vorantreiben. Grundsätzlich unterscheidet man Heckraddampfer (wie die berühmten Mississippi-Dampfer) und Seitenraddampfer mit zwei Schaufelrädern, wie sie noch auf mehreren europäischen Seen zu sehen sind, vor allem auf dem Léman.

Weltweit sind nicht mehr als 50 große historische Raddampfer in Betrieb, darunter 19 in der Schweiz: 8 auf dem Genfer See und 5 auf dem Vierwaldstätter See; die übrigen verteilen sich auf den Zürichsee (2), Thuner See (1), Brienzer See (1), Bodensee (1) und Greifensee (1). Man darf somit behaupten, dass die Genfer Dampferfl otte von der Anzahl transportierter Passagiere her global an der Spitze steht und ein Weltkulturerbe darstellt. Diese Schiffe belegten zweifellos einen der vorderen Plätze, würde die Unesco ihr Inventar auf bewegliche Objekte ausweiten – darunter möglicherweise auch auf einige Produkte der Uhrenindustrie …

DIE GESCHICHTE DIESER SCHIFFE ist jedoch auch jene der Männer, die mit ihren Maschinen und ihrem Team eine Einheit bilden.

Das erste Dampfschiff des Genfer Sees transportierte 1823 hundert Passagiere. Die acht prachtvollen Schiffe mit zwei Decks und einem Salonrestaurant können zwischen 550 und 850 Personen aufnehmen. Sie stammen aus dem goldenen Zeitalter des Schweizer Tourismus: der Belle Epoque und den 1920er Jahren oder Années folles. Das erste wurde 1875 in Dienst gestellt (es ist verschwunden wie andere seither), das letzte 1927. Dieser und die übrigen erhaltenen Dampfer begeistern bis heute Ausflügler und vermitteln ihnen ein Hochseegefühl inmitten des Gebirgspanoramas.

Wenn hier das Loblied der acht Schiffe aus den Anfängen der CGN gesungen wird, sollte auch ein neuntes erwähnt werden, das immer noch auf dem Genfer See verkehrt, die Genève. Das wegen Baufälligkeit 1974 stillgelegte Schiff wurde von einem Genfer Verein aufgekauft , um Menschen in Schwierigkeiten aufzunehmen. Eine glückliche Bestimmung für diesen Dampfer, der mit dem tragischen Schicksal der österreichischen Kaiserin Sissi verbunden ist: Sie wurde am 10. September 1898 ein paar Schritte neben dem Schiffniedergestochen, konnte sich jedoch noch an Bord schleppen, wo sie kurz danach verstarb.

Die Venoge ist ein weiteres Schiff dieser Epoche, das in die Annalen einging. 1905 für den Warentransport erbaut, ist es das erste Schiff der Welt, das mit einem Dieselmotor ausgerüstet wurde. Dieser musste zwar 1924 ersetzt werden, doch die bloß 37 Meter lange Venoge verkehrt nach wie vor für private Kreuzfahrten auf dem Genfer See. Genauso wie ihre acht großen, 64 bis 78 Meter langen Schwestern der CGN, die überdies von etwa Mitte April bis Mitte Oktober auch für regelmäßige Kursfahrten eingesetzt werden.

Wie heißen diese acht Schönheiten eigentlich? Sieben tragen Ortsnamen: S/S Montreux (die älteste, 1904 in Dienst gestellt), M/S Vevey, M/S Italie II (die zweite dieses Namens), S/S La Suisse, S/S Savoie, S/S Simplon III, M/S Helvétie II. Die jüngste, S/S Rhône III (1927), erhielt ihren Namen vom Strom, der den Genfer See von einem zum andern Ende durchquert. S/S steht dabei für Steamship oder Dampfschiff , M/S für Motorschiff . Denn bei drei dieser Schiffe treiben heute Diesel-Elektro-Motoren die Schaufelräder an, weil die ursprünglichen Dampfmaschinen in den fünfziger bis siebziger Jahren ersetzt wurden.

Eine Ausnahme macht die S/S Montreux: Nachdem sie damals ebenfalls einen Dieselmotor erhalten hatte, wurde sie anlässlich ihrer Renovierung 1999–2001 wieder unter Dampf gesetzt. Eine Rückkehr zu den Ursprüngen, der andere folgen werden.

Die Geschichte dieser Schiffe ist jedoch auch jene der Männer, die mit ihren Maschinen und ihrem Team eine Einheit bilden.

DIE MEISTER DES MANÖVRIERENS
Wenn der Erste Kapitän Chenaux seine drei Rekruten drillt, bis jeder das Haltetau tadellos präpariert, bevor es geworfen wird, tut er das nicht, um ihnen Disziplin beizubringen. Es geht darum, das Anlegemanöver ohne Passagiere der 300 bis 500 Tonnen schweren, altehrwürdigen Belle- EpoqueSchiffe perfekt zu meistern. Dabei ist das Geschick der Matrosen nur einer der Parameter. Je nach den Umständen ist die ganze Erfahrung des Kapitäns gefordert, bis das Schiff sicher am Steg vertäut ist.

Dazu muss man wissen, dass die Bremsstrecke dieser Schiffe – wenn sie ihre bei den Schaufelräder mit voller Kraft rück wärts laufen lassen – bei einer Durch- schnitts geschwindigkeit von 25 Stundenkilo metern ungefähr 200 Meter beträgt; das entspricht auch ihrem Wendekreis. Zum Wenden benötigen sie folglich einen Bereich von 400 Metern. Doch der Genfer See wimmelt an schönen Tagen von Vergnügungsbooten, und Warnschüsse vor deren Bug – natürlich nur mit der dröhnenden Sirene – reichen manchmal nicht, um Leichtsinnige fernzuhalten. Der Kapitän muss deshalb den Halt befehlen oder wenden und das Landemanöver neu beginnen.

Wegen einer Besonderheit dieser LémanRiesen wird die Berechnung der Manöver noch komplizierter: Ihr Tiefgang beträgt nur ungefähr 1,6 Meter, damit sie in relativ seichte Gewässer wie die Genfer Rade gesteuert werden können. Das ist nichts angesichts der enormen Fläche ihres dem Wind ausgesetzten Aufb aus, der die

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AUF DEN FÜNF DAMPFSCHIFFEN sind diese Manöver auch heute noch Meisterleistungen.

Gefahr erhöht, abgetrieben zu werden. „Unsere Schiffe sind potentiell wahre Segelboote“, stellt Kapitän Heymoz fest. Er wird denn auch nie vergessen, wie er einmal bei besonders heft igen Böen anordnen musste, alle Fenster des Oberdecks herunter zulassen, um die Kraft des Seitenwinds abzuschwächen.

Eine weitere große Unbekannte, die diese Bezeichnung wegen ihres gefährlichen Charakters mehr als verdient, ist die Unterwasserströmung: Ihre Richtung und Geschwindigkeit sind oft unvorhersehbar! Saint-Prex ist ein charmantes mittelalterliches Städtchen am Schweizer Ufer; alles wirkt hier friedlich. Dennoch: „Der Steuermann, der an dieser Anlegestelle wegen der Strömung noch nie seine Landung verpatzt hat, ist noch nicht geboren“, meint der pensionierte Kapitän. Und sein Nachfolger berichtet, dass er einmal vor Saint-Prex von einer Windgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern gestoßen und dennoch von der Strömung aus der Gegenrichtung abgetrieben worden sei.

Außerdem ist es im seichten Gewässer angesagt, so langsam zu fahren, dass sich am Heck keine Welle bildet, die die Wirkung des Steuerruders behindert. Komplikationen sind off ensichtlich nicht nur eine Spezialität der Uhrenbranche.

Ins Kapitel Findigkeit und Geschicklich keit gehören auf jeden Fall die Vorkehrungen, die es braucht, um in Genf beim Pont du Mont-Blanc anzulegen. Obwohl Sie den Löffel, den Zuckerwürfel und das Schokoladestück jetzt nicht vor Augen haben, mit denen Kapitän Heymoz das Manöver anschaulich erklärt, dürfte es nachvollziehbar sein: Vom Obersee her fährt das Schiff in einer großen Kurve in die sich verengende Rade und relativ frontal dem Ufer entgegen. Dort wurde extra eine mit Kies durchsetzte Sandbank aufgehäuft , auf die der Kapitän den Bug des Schiff es gezielt auffahren lässt. Den Rest der Arbeit leistet dann die Strömung der Rhone, indem sie das Heck mitnimmt, das Schiff dreht und gewendet parallel zur Uferstraße „parkt“, bereit für die erneute Ausfahrt in den See.

Seit den 1960er Jahren ist das Steuerruder elektrifi ziert und kann vom Kapitän auch von der seitlichen Kommandobrücke aus dirigiert werden, während es früher Muskelkraft erforderte: Der Steuermann drehte sein großes, mechanisch angetriebenes Rad nach den Befehlen des Kapitäns.

Einschiffen im Hafen von Evian-les-Bains im Sommer 1908 mit Destination Thonon, Nyon und Genf an Bord des Salonschiffs Genève (erbaut 1896 und außer Dienst gestellt 1974). Kolorierte Postkarten aufnahme, herausgegeben von Lévy et Neurdein réunis. Sammlung Patrimoine du Léman – Didier Zuchuat.

Einschiffen im Hafen von Evian-les-Bains im Sommer 1908 mit Destination Thonon, Nyon und Genf an Bord des Salonschiffs Genève (erbaut 1896 und außer Dienst gestellt 1974). Kolorierte Postkarten aufnahme, herausgegeben von Lévy et Neurdein réunis. Sammlung Patrimoine du Léman – Didier Zuchuat.

Auf den fünf Dampfschiffen sind diese Manöver auch heute noch Meisterleistungen. Im Gegensatz zu den Schiffen mit Dieselmotor ist es hier nicht der Kapitän (oder Steuermann), der die Maschine direkt steuern kann! Stattdessen gibt er dem Mechaniker unten im Maschinenraum Anweisungen, die dieser „blind“ ausführt, ohne Sicht auf den See. „Stop“, „En arrière“… Inschriften und Piktogramme dienen der Kommunikation zwischen der Kommandobrücke und dem Maschinenraum, wobei nötigenfalls auch eine Sprechanlage zur Verfügung steht.

Man begreift allmählich, wie wichtig die Arbeit jedes Besatzungsmitglieds ist. Klare Befehle und schnelle Reaktionen sind entscheidend, aber auch Geschick, wie Kapitän Heymoz anfügt: „Für den Mechaniker ist das Manöver ziemlich heikel, er muss die Maschine am richtigen Punkt anhalten, damit sich die Kolben beziehungsweise Pleuelstangen bei der Schubumkehr wieder problemlos in Bewegung setzen lassen; andernfalls muss er der Maschine zusätzlichen Dampf geben, damit sie wieder startet. Doch in dieser Zeit gleitet das Schiff fünf bis zehn Meter weiter, als es sollte.“

Das Erstklass-Salonrestaurant der La Suisse. 

Das Erstklass-Salonrestaurant der La Suisse. 

Die Haupttreppe der Vevey.

Die Haupttreppe der Vevey.

Dank der engen Zusammenarbeit lernt jeder den Stil des andern kennen, ohne ihn zu sehen: Auf seinem Ausguck merkt der Kapitän schon daran, wie schnell seine Befehle ausgeführt werden, welcher der beiden Mechaniker an der Maschine steht. Umgekehrt weiß der Mechaniker, welcher Steuermann oder Kapitän das Anlegen dirigiert, zum Beispiel daran, ob und wie er die Windkraft nutzt.

SCHIFFE, DIE LEBEN
Wie gelingt es den Kapitänen, all diesen Faktoren Rechnung zu tragen? Unmöglich, den Vorgang zu kalkulieren, indem man auf dem Smartphone die Geschwindigkeiten, die Richtung des Windes, der Wellen und der Strömung eintippt; alles hängt von der Erfahrung und vom Können des Mechanikers und des Kapitäns ab. „Man navigiert häufig nach dem Gefühl. Man muss spüren, wie das Schiff reagiert, wie es sich bewegt; das verinnerlicht man mit der Zeit“, antwortet der Erste Kapitän Chenaux. Und fügt bei: „Unsere Dampfschiff e leben; man fühlt es … Sie atmen; die Dampfmaschine verleiht dem Schiff einen Rhythmus, sie vibriert. Die dezentriert angeordneten Kolben stampfen … Die Geräusche sind wichtig; ein bestimmtes Verpuffen des Dampfes zeigt zum Beispiel an, dass das Schiff nicht sofort zu - rücksetzen wird. Ein solches Schiff ist nicht einfach eine große Maschine, es ist vielschichtig wie ein Lebewesen.“

Fragt man ihn, welches Schiff er bevorzugt, zögert Kapitän Chenaux lange – können uns seine Schützlinge wohl hören, die in rund fünfzig Meter Entfernung vertäut sind? „Schwierige Frage ... Es tut mir fast weh, es zu sagen: Die La Suisse ist das schönste Schiff , dennoch ziehe ich die Simplon vor; sie reagiert schneller, ist dynamischer, obschon sie ebenso groß ist. Die La Suisse ist viel apathischer.“ Sein Vorgänger pflichtet ihm bei: „La Suisse gilt als Dame, Simplon als Mann, der mehr fürs Wasser gemacht ist.“

DIE PARADE
Die heute alljährlich im Frühling durchgeführte Schiff sparade der Belle- EpoqueFlotte vereint diese Vollblüter zu einem Ballett. Man besteigt das Schiff seiner Wahl, und das Spektakel nimmt einen bald vollständig gefangen: Die Nase im Wind, geht’s auf den off enen See hinaus, wo man sich mit den übrigen Dampfern trifft , die sich gegenseitig mit sämtlichen Sirenen lautstark begrüßen. Bei der Fahrt mit Höchstgeschwindigkeit und einem Abstand von nur 15 Metern zu den Nachbarschiffen sehen und hören Sie die Schaufelräder arbeiten; Sie spüren aber auch das eigene Herzklopfen, wenn die Schiffe von der einen Seite zu dritt, von der andern zu zweit aufeinander losfahren und sich beim Kreuzen fast streifen.

Die spektakulärste und anspruchsvollste Formation findet jedoch im Leerlauf statt. Die Schiffe bilden Bug an Bug einen Stern. Diese Mastodonten so präzis zu stoppen, dass sich ihre Nasen mit nur wenigen Metern Abstand treffen, ist hohe Kunst. Sogar ohne Wind und Strömung, was selten der Fall ist. Zu behaupten, man könne während dieses Manövers vor Spannung die Fliegen in den Steuerkabinen hören, wäre absolut untertrieben, denn „sogar die Fliegen wagen nicht mehr zu fliegen“. Diese vom Ersten Kapitän Chenaux kreierte Choreographie ist um so bewundernswerter, wenn man weiß, dass das Manöver vorher kein einziges Mal geübt wird. Je nach den Wetterverhältnissen gibt es jedoch einen Plan B und sogar C.

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Chefmechaniker Markus Graf vor der „Joséphine“, seiner bevorzugten Dampfmaschine.

Chefmechaniker Markus Graf vor der „Joséphine“, seiner bevorzugten Dampfmaschine.

Die Pumpe mit Sperrklinke wird von der Bewegung zweier Exzenter mit genommen, welche den Dampfeinlass in den Hoch druckzylinder steuern. Diese sinnreiche Vorrichtung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Standuhrmechanismen und ermöglicht das Schmieren von drehenden Teilen, die nicht zugänglich sind, wenn die Maschine läuft.

Die Pumpe mit Sperrklinke wird von der Bewegung zweier Exzenter mit genommen, welche den Dampfeinlass in den Hoch druckzylinder steuern. Diese sinnreiche Vorrichtung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Standuhrmechanismen und ermöglicht das Schmieren von drehenden Teilen, die nicht zugänglich sind, wenn die Maschine läuft.

DIESES BALLETT AUF DEM SEE ist um so bewundernswerter, weil das Manöver vorher kein einziges Mal geübt wird.

Die Schiffsparade ist ebenfalls den Dampferfreunden zu verdanken, die sich für die Rettung der Belle-Epoque-Flotte einsetzen, zuvorderst der Association des Amis des Bateaux à Vapeur du Léman (ABVL) und deren Stiftung Pro Vapore. Sie brachten die 12 bis 15 Millionen Franken zusammen, die zur Generalüberholung (2007–09) des Flaggschiffs La Suisse benötigt wurden. Bereits 2003 hatte die Association Patrimoine du Léman (APL) – mit Unterstützung des Musée du Léman – das am Heck befestigte Beiboot aus Mahagoni und die vollständig mit Blattgold überzogene Galionsfigur restauriert. Die anschließend durchgeführte umfassende Renovierung betraf Konstruktionselemente, Ausstattung und Dekor des Schiffs:

Rund 100 Kilometer Elektrokabel sowie Wabenstruktur-Rumpfelemente und Bug-Antriebsaggregate ermöglichten es, die hundertjährige Dame zu modernisieren. Sorgfältigst ausgeführte Sanierungen brachten ihren verblassten Prunk wieder zum Vorschein. Die Holzarbeiten des Erstklasssalons sind eine wahre Augenweide: Die Täfelung aus moiriertem Bergahorn ist mit Apfel-, Birn- und Buchsbaum- Intarsien geschmückt. Darin steckt ebensoviel Essenz wie im herrlichen Dézaley, den Sie in dieser stilvollen Umgebung genießen können.

Bei der Rückfahrt auf der Vevey kann man im Neo-Directoire-Salon die Kastanienholztäfelung mit Intarsien aus purpurfarbenem Amarant und aus Ebenholz bewundern. Die Gesamterneuerung dieses Schiffs wird diesen Herbst abgeschlossen. Es gab viel zu tun. So wurde der ursprüngliche Zustand des kleinen Salons wiederhergestellt und der Kamin freigelegt. Bei dieser Restaurierung nach allen Regeln der Kunst wurden einige Konzes sionen an die Sicherheit gemacht, etwa bei der Gestaltung der Ruderhausfenster. Dank der Verbindung von Tradition und Technologie wird es künftig möglich sein, mit dem Smartphone die Heizung zu regeln und den Stand der Tanks zu kontrollieren!

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Der Höhepunkt der Dampf erparade, die Sternfigur, ist das schwierigste Manöver und erfordert eine perfekte Koordination nicht nur zwischen den Schiffen, sondern auch zwischen jedem Kapitän und seinem Mechaniker, der im Maschinenraum seine Befehle augenblicklich ausführen muss.

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Zwei weitere Schiffe warten noch auf ihre Verjüngungskur: die Italie und die Helvétie. Die ABVL konnte bislang ein Drittel der 12 Millionen Franken beschaffen, die für die Totalrenovierung der Italie budgetiert sind.

Wenn man den Ersten Kapitän Chenaux fragt, was er sich für die Zukunft seiner Belle-Epoque-Flotte wünscht, antwortet er spontan: „Dass sie im regulären Fahrplan integriert bleibt, damit alle davon profitieren können und diese Schiffe nicht zu Museen werden.“ Unnötig hingegen, ihn nach seinen Heldentaten zu befragen, er erzählt lieber, was er von seiner „Zitadelle“ aus sieht: außergewöhnlich geformte Wolken, komische Szenen von Vögeln, die sich streiten … Unvergessen bleibt auch das fast magische Bild der Ruderer, von denen nur die Köpfe aus einer niedrigen Nebelbank herausschauten … Oder der kleine blinde Bub, der die Steuerkabine entdeckte, indem er sie mit den Händen betastete: „Sein glückliches Lachen hat mich tief beeindruckt.“

Der wache Sinn für die Natur und die Mitmenschen scheint ein gemeinsamer Wesenszug der beiden Kapitäne zu sein. „Den Jungen, die ich ausbildete, habe ich immer gesagt: ‚Beobachten, beobachten und nochmals beobachten, das ist es, was zählt!‘ “, meint Aldo Heymoz. Und fügt bei: „Ich habe immer zugehört, auch einem, der ganz neu ins Ruderhaus gekommen ist, weil er ja vielleicht etwas gesehen hat, das mir entgangen ist.“

Sie sind wirklich bescheiden, die Admirale des Genfer Sees.

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PRAKTISCHE INFORMATIONEN

Die Belle-Epoque-Schiffe des Genfer Sees sind von April bis Oktober in Betrieb: www.cgn.ch

Association des Amis des Bateaux à Vapeur du Léman: www.abvl.ch

Association Patrimoine du Léman: www.patrimoine-leman.ch

„Au temps de la navigation à vapeur sur le Léman 1841–1941“; Ausstellung vom 28. April 2013 bis 5. Januar 2014 im Musée du Léman in Nyon: www.museeduleman.ch

C. Bertola und D. Zuchuat, L’Age d’Or de la navigation à vapeur sur le Léman 1841– 1941, Ed. Glénat, Nyon, 2013

Logbuch der LETZTEN FAHRT DER M/S VEVEY

30. September 2010, 18.14 Uhr, Cully im Lavaux: Es ist außergewöhnlich, die Vevey trifft mit Verspätung ein. Obwohl das Schiff seit seiner Einweihung 3 Millionen Kilometer zurückgelegt hat, scheint es nicht außer Atem zu sein. Dennoch wird es in den nächsten Tagen außer Betrieb gesetzt. Das nötige Geld für die Renovierung fehlt.

18.17 Uhr: Abfahrt; Menschen winken. Für einmal ist es das Schiff , das verabschiedet wird.

19.46 Uhr: Im Erstklasssalon lächelt eine nach der Mode der Belle Epoque gekleidete Dame.

19.57 Uhr: Landung der Vevey in Saint-Prex. Die Matrosen haben die Seenotleuchten eingeschaltet. Diese beleuchten das ganze Schiff rot, und die Sirene heult. Auf der Kommandobrücke trinkt eine Dame ruhig ihren Tee, durch ihre Pelerine vor dem Sprühregen geschützt.

21.00 Uhr: Die letzten Passagiere gehen in Lausanne an Land. An Bord bleiben nur die Familien und Freunde der Besatzung.

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21.52 Uhr: Die Vevey ist in ihrem Heimathafen angelangt. Kapitän Schaff ner verlässt gemessenen Schritts den Ausguck.

22.01 Uhr, Maschinenraum: Der Kapitän umarmt den Mechaniker, der es nicht über sich bringt, „seine“ Dampfmaschine auszuschalten, und macht es selbst.

23.17 Uhr: Die Stimmung ist wieder gut. Im Erstklasssalon wird gelacht und nach Smoke on the water getanzt …

0.05 Uhr: Ich lasse die Besatzung allein weiterfeiern. Auf dem Quai winkt ein Krebs mit den Scheren. Er ist wahrscheinlich einem Fischer aus dem Netz gefallen. Ich setze ihn ins Wasser zurück, und er taucht quicklebendig ab.

Epilog. 5. März 2013, 11.42 Uhr, Werft in Bellerive-Ouchy bei Lausanne: Wie der Phönix aus der Asche wird die Vevey im Funkenregen der Schweißer wiedergeboren. Ein politischer Entscheid hat das Schiff gerettet. In wenigen Monaten wird es erneut über den See ziehen.

Die DAMPFERFLOTTE des größten Natursees von Westeuropa
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„Joséphine“, „Béatrice“ und „Sophie“ … DIE DAMPFMASCHINEN DER SCHIFFE

So lauten die Kosenamen der Maschinen von drei der fünf Dampfer, der Savoie, der La Suisse und der Simplon. Wie die Kapitäne haben auch die Mechaniker ihre Lieblinge … Solche Auszeichnungen bleiben deshalb der modernen Dampfmaschine der Montreux vorenthalten, ebenso wie jener der Rhône, die die Perfektion ihrer Vorgängerinnen auch nicht erreicht.

Obwohl sie weibliche Vornamen haben, erinnern die Dampfmaschinen eher an die Radrennfahrer der Tour de France: Im von oben einsehbaren Maschinenraum können die Passagiere das „Treten“ der beiden Kolben-Pleuelstangen-Paare bewundern und das „Keuchen“ der Maschine hören, wenn sie ihre Leistung steigert. Und was für eine Leistung! Die 78 Meter lange La Suisse entwickelt 1400 PS, was ihr erlaubt, ihre 513 Tonnen mit einer oberen Reisegeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern fortzubewegen. Was die maximal 850 Passagiere begeistert, die das Schiff fasst.

Dieser Champion hat off ensichtlich Durst: Er verbrennt im Mittel 20 Liter Heizöl pro Kilometer. Zum Vergleich: Die Vevey (64 m und 297 t), ein anderer BelleEpoque-Schaufelraddampfer, ist mit einem Dieselmotor ausgerüstet, der mit 8 Litern auskommt (vor der Renovierung).

Die Dampfmaschinen der drei vorgenannten Schiff e wurden durch die Schweizer Firma Gebrüder Sulzer nach einem einheitlichen Muster erbaut. Es handelt sich um schräg liegende ZweizylinderHeiß dampf-Verbund- oder Compoundmaschinen. Sie verfügen über einen kleinen, für hohen Druck ausgelegten Zylinder und einen großen, der mit niedrigem Druck arbeitet. Der Dampf schießt mit einer Temperatur von 280 bis 300 °C und einem Druck von 10,5 bar in den Hochdruck zylinder, wo sein Druck auf 1 bar sinkt, bevor er den Niederdruckzylinder füllt und den zweiten Kolben mit 0,3 bar antreibt.

Ungeachtet ihrer massiven Bauweise sind diese Maschinen mit einer Präzision gearbeitet, die jener der Uhrmacherei nahekommt: Obwohl die größten Lager einen Durchmesser von ungefähr 240 Millimeter haben, beträgt ihr Spiel nur 0,2 Millimeter. Eine Präzision von 1⁄1200! Ein Zehntelmillimeter zu wenig, und der Kolben erhitzt sich, drei Zehntel zu viel, und er klopft.

Diese präzise Metallbearbeitung erfordert auch bei der Wartung große Sorgfalt. Wie Rennfahrer werden die Maschinen regelmäßig massiert, allerdings mit Öl. Während der Fahrt beansprucht diese Arbeit eine Person rund um die Uhr; der zuständige Hilfsmechaniker ist für ungefähr 150 Schmierpunkte verantwortlich, die er turnusgemäß alle 80 Minuten pfl egt. Pro Tag werden nicht weniger als 10 Liter Öl für die Zylinder und ebenfalls 10 Liter für die anderen beweglichen Teile verbraucht.

Noch eine Zahl, und Sie wissen alles über diese Radfahrer, die den See durchpfl ügen: Ihre beiden Schaufelräder haben je nach Modell einen Durchmesser von 3,4 bis 3,7 Metern, und dank einem exzentrischen System tauchen die Schaufeln in einem optimalen, fast senkrechten Winkel ins Wasser ein.

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Kapitel 09

Hier entstehen die TOURBILLONS UND KARUSSELLS von Blancpain

In dieser Werkstatt lehren Uhrmacher mit goldenen Fingern die faszinierendsten Komplikationen der Haute Horlogerie das Laufen.

Autoren der Kapitel

MICHEL JEANNOT
Hier entstehen die  TOURBILLONS UND KARUSSELLS von Blancpain
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