Kapitel 8
Drohnen, Kühe und ein Papst.
Drohnen, Kühe und ein Papst. Wie kann eine einzelne Institution so unglaublich verschiedene Dinge unter einen Hut bringen? Die Antwort findet sich sowohl im heutigen Alltag des prestigereichen Bordeaux-Weinguts Château Pape Clément als auch in seinem Erbe.
Château Pape Clément ist eines der geschichtsträchtigsten Weingüter des Bordelais. Der Rebbau auf seinen Parzellen in Pessac – heute ein südwestlicher Vorort von Bordeaux und Teil der Weinbauregion Graves1 – lässt sich bis ins Jahr 1252 zurückverfolgen. Obwohl in Graves also bereits im 13. Jahrhundert Wein gekeltert wurde, fand in der offiziellen Bordeaux-Klassifizierung von 1855 nur ein einziges Gut dieses Gebiets Aufnahme, Château Haut-Brion, denn die Welt blickte lange Zeit gen Norden, ins Médoc mit seinen bekannten Namen wie Lafite, Latour, Margaux, Mouton, Léoville, Ducru, Pichon und Cos d’Estournel.
Sowohl die Geschichte als auch die heutigen Weinverkostungen haben jedoch dieses künstlich verengte Blickfeld erweitert. Die Weinberge des heutigen Château Pape Clément zählten bereits im Mittelalter zu den geschätztesten in der Region. Als Bertrand de Goth 1299 zum Erzbischof von Bordeaux ernannt wurde, schenkte ihm sein Bruder dieses Gut. Es hieß damals noch „de la Mothe“, weil sich die Rebberge auf einer kleinen Anhöhe befinden. 1305 bestieg Bertrand als Clemens V. den Papstthron und verlegte vier Jahre später seine Residenz nach Avignon. Durch seine Aufgaben und den Bau des Papstpalasts zu stark in Anspruch genommen, überließ Clemens V. das Gut 1309 dem neuen Erzbischof von Bordeaux, worauf es ihm zu Ehren den Namen „Pape Clément“ erhielt. Für die nächsten fünfhundert Jahre diente der Wein von Château Pape Clément in erster Linie dem Bedarf der Kirche.
Während der Französischen Revolution wurde Château Pape Clément wie alle Güter der Kirche nationalisiert und dann 1791 verkauft. Einige der nun folgenden privaten Besitzer standen vor enormen Herausforderungen. Die schlimmste war ein Hagelschauer von biblischem Ausmaß, der den Weinberg 1937 fast vollständig zerstörte. Erst nach dem Krieg begann die Neubestockung und gründliche
1 Innerhalb der Region Graves ist Château Pape Clément seit 1987 Teil der Appellation Pessac-Léognan.
Sanierung. Dessen ungeachtet gab es in den Anfängen Rückschläge und später Kritik. Weil bei der ursprünglichen Bordeaux-Klassifizierung 1855 die Region Graves praktisch ignoriert worden war – obwohl sie sich zu Recht rühmt, die Wiege des roséartigen Clairet zu sein –, klassierte 1953 eine Jury des Institut national des appellations d’origine die Graves-Weine neu, setzte Château Pape Clément jedoch nicht auf ihre Liste. Dieser Irrtum wurde erst 1959 korrigiert. Gleichwohl vergingen Jahrzehnte, ohne dass Château Pape Clément erwähnt wurde, wenn von den Bordeaux-Superstars die Rede war. Der berühmte Weinkritiker Robert Parker beschrieb die Weine von Château Pape Clément zu jener Zeit nicht gerade liebenswürdig als „untrinkbar“ und das Anwesen als „moribund“.
1983 betritt Bernard Magrez die Szene. Seine Eigentümerschaft und Leitung von Château Pape Clément ist von Kreativität, einer guten Nase für Talente, großzügigen Investitionen in Anlagen und Forschung, kompromisslosen Ansprüchen und einer obsessiven Liebe zum Detail geprägt. Statt Weine, die Parker einst als „untrinkbar“ bezeichnete, bringt das Gut nun Tropfen hervor, die in seinem Guide auch schon die Höchstnote von 100 Punkten erhalten haben.
Hinter dieser bemerkenswerten Qualitätssteigerung stehen keine Wundermittel. Ein Tag mit Bernard Magrez und seinem Gutsverwalter Frédéric Chabaneau führt die tiefgreifenden Veränderungen auf Château Pape Clément vor Augen.
Magrez ist eindeutig ein Erneuerer. Und zwar so sehr, dass er ein Forschungszentrum sponsert. Was schaute bei dieser Investition heraus? Einerseits Spitzentechnologie und Wissenschaft, andererseits eine kühne und kostspielige Kehrtwende hin zur Vergangenheit: Drohnen und Kühe. Heute umfasst das Rebland von Château Pape Clément ungefähr 32,5 Hektar in Pessac. Der Devise „Weine werden im Rebberg gemacht“ getreu fliegen hier Drohnen dicht über die belaubten Stöcke hinweg und erlauben ein höchst detailliertes Monitoring ihres Gesundheitszustands und ihres Wachstums, wie es früher nicht möglich war. Die gesammelten Daten sind so aufschlussreich, dass man auf Château Pape Clément in der Lage ist, die Reben je nach Reifezustand in Mikroparzellen einzuteilen und bei Beginn der Ernte zu entscheiden, wann welche Trauben gelesen werden. Selbstverständlich waren und sind die Verwalter namhafter Weingüter auch fähig, den Gesundheitszustand und die Reife der Reben zu Fuß zu kontrollieren. Mit Drohnen (und den Spezialisten, die die Daten auswerten) lässt sich das jedoch schneller, regelmäßiger und präziser durchführen. Gegenwärtig nutzt hier nur Bernard Magrez diesen technologischen Fortschritt für das Weinberg-Management.
Drohnen sind vielleicht der Zukunft, Kühe jedoch fraglos der Vergangenheit zuzuordnen. Heute ist es allgemein üblich, relativ flache Rebparzellen mit Traktoren zu pflügen. Ja es gibt bereits fahrerlose Weinbergtraktoren, die automatisch den Rebzeilen folgen, an deren Ende einen eleganten Dreh vollführen und die nächste Reihe in Angriff nehmen. Da denkt man unwillkürlich an selbstfahrende Google-Autos oder Roboterstaubsauger. Doch so offen Magrez für Hightech-Drohnen ist, den Einsatz von fahrerlosen Traktoren weist er entschieden zurück. Er lehnt Traktoren überhaupt ab. Stattdessen benutzt er von Kühen gezogene Pflüge. Warum diese jahrhundertealte Methode? Zunächst einmal bleiben die direkt unter der Erdoberfläche liegenden, zarten Triebe der Rebe vom Gewicht eines Kuhhufs weitgehend unbeschädigt, und der Boden zwischen den Zeilen wird weniger verdichtet als durch schwere Traktoren. Ein weiterer Vorteil: Wenn der Pflug vom richtigen Weg abkommt und gegen einen Rebstock stößt, fühlt die Kuh den Widerstand und bleibt stehen. Dem Traktor und seinem Fahrer fehlen diese Sensibilität, und die Rebe wird verletzt. Das Pflügen mit Tieren praktiziert man auch auf Gütern mit vergleichsweise winzigen Parzellen in Burgund und anderswo. Im Bordelais jedoch rollen außer hier wie fast überall Traktoren.
Es gibt eine weitere interessante Veränderung. In den achthundert Jahren seit den Anfängen des Weinbaus hat sich diese Gegend stark verstädtert. Das Rebland ist lediglich durch die Mauern der Parzellen von den Häusern getrennt. Und während die Nachbarn der meisten Güter in Pessac über den Lärm der Traktoren klagen, beschweren sie sich bei Château Pape Clément über den Stallgeruch.
Genauso sorgfältig wie beim Pflügen wird bei der Ernte gearbeitet. Das gesamte Traubengut wird von Hand gelesen. Noch wichtiger: Da der Zeitpunkt der Ernte auf den Daten der Drohnen basiert, wird sie je nach optimaler Reife der einzelnen Miniparzellen in mehreren Durchgängen eingekellert.
Intensive Handarbeit bleibt auch nach dem Eintreffen der Trauben im Keller erstes Gebot. Magrez beschäftigt nicht weniger als hundert Personen – eine erstaunliche Zahl! –, um die Trauben, die über Förderbänder laufen (momentan sind vier davon im Einsatz) zu sortieren und zu entrappen. Männer und Frauen auf beiden Seiten der Bänder zupfen eine Beere nach der andern von den Stielen. Das ist schwieriger, als man denkt, da die Haut vor allem am feinen Stielansatz weder eingerissen noch sonstwie beschädigt werden darf. Für ein perfektes Abbeeren sind große Fingerfertigkeit und viel Geduld gefragt. Was nicht weiterverwertet wird, kommt in eine Rinne in der Mitte des Bandes, während die intakten Beeren auf dem nächsten Fließbandabschnitt mit scharfen Augen kontrolliert werden. Beim geringsten Schönheitsfehler landet die Beere ebenfalls in der Mittelrinne. Die Kosten dieser handwerklichen Triage und Kontrolle sind enorm, doch das ist der Preis, den bezahlen muss, wer Perfektion erreichen will.
Vinifiziert wird die Ernte jeder Parzelle separat. Die roten Trauben maischt man hier in temperaturkontrollierten Holzbottichen ein. Diese Maische wird während vier bis fünf Tagen gekühlt, bevor die Temperatur steigen darf, um die Gärung einzuleiten. Mit einem Rührwerk hält man die Maische ständig in Bewegung, bis der Most abgepresst wird. Die weißen Trauben hingegen werden sofort abgepresst, und dann gärt der Most in speziellen eiförmigen Betonbehältern, deren Form die Umwälzung begünstigt.
Selektion und Mischung sind weitere entscheidende Schritte. Magrez arbeitet mit Michel Rolland zusammen, einem der angesehensten Berater im Bordelais, und spart nicht an Superlativen, wenn er über das Talent des Önologen spricht, die Weine der einzelnen Parzellen auszuwählen. Die Urteile und Entscheidungen fallen von Jahr zu Jahr anders aus, so dass Rolland und Magrez die Cuvées jeder Parzelle separat verkosten. Dabei werden nicht nur die definitiven Assemblagen bestimmt, bei den Selektionen entscheidet sich auch, welche für den Grand Vin von Château Pape Clément und welche für den Zweitwein Le Clémentin du Pape Clément bestimmt sind. Obwohl es jedes Jahr Abweichungen und Feinabstimmungen in den Mischsätzen von Rolland und Magrez gibt, besteht der Château Pape Clément generell aus etwa 50 bis 55% Cabernet Sauvignon, 42 bis 45% Merlot sowie 1 bis 2% Cabernet Franc und Petit Verdot. Die Bodenbeschaffenheit entscheidet, wo die wichtigen Sorten gepflanzt werden: Der Cabernet Sauvignon bevorzugt kieselig-sandige, der Merlot eher lehmige Böden.
Der in einer kleinen Menge erzeugte, hervorragende Weißwein von Château Pape Clément ist eine Assemblage aus 45% Sémillon, 45% Sauvignon Blanc und 10% Muscadelle.
So wie Bernard Magrez die Weinbereitung veränderte und die Qualität ins Spitzenfeld der Bordeauxweine katapultierte, polierte er auch das 1861 erbaute Schloss selbst auf Hochglanz. Das von einem Park mit tausendjährigen Olivenbäumen umgebene Gutshaus ist ein echtes Schmuckstück geworden, das im Innern mit wertvollen Objekten seiner päpstlichen Vergangenheit auftrumpft. Dennoch steckte der Besitzer nicht alle seine Kraft und Reserven in die Restaurierung von Château Pape Clément, da er in seinem reichbestückten Portfolio noch drei weitere klassierte Bordeaux-Güter hat: Château Fombrauge in SaintÉmilion, Clos Haut-Peyraguey in Sauternes und Château La Tour Carnet im Haut-Medoc.
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Erscheinungsdatum: November 2015 |