Kapitel 3
Ein Tauchgang von 24 Stunden für die Wissenschaft und Tauchtechnik.
Dies ist die Geschichte eines wissenschaftlichen Abenteuers und eines Tauchrekords in einem abgelegenen polynesischen Paradies, dem FakaravaAtoll. Hier versammeln sich einmal pro Jahr Tausende von Getarnten Zackenbarschen, verfolgt von Hunderten von Haien… Das Team von Laurent Ballesta wollte besser verstehen, wieso diese Zackenbarsche für das gemeinsame Laichen jeweils den Vollmond-Tag im Juli abwarten. Unterstützt von Forschern der französischen CNRS-Station auf Moorea führten die Taucher zahlreiche Experimente durch, um das einzigartige Phänomen zu studieren. Außerdem realisierte Laurent Ballesta während dieser unglaublich interessanten Zeit einen Tauchrekord von 24 Stunden.
Es ist 15 Uhr, die Sonne scheint, das Meer leuchtet türkisfarben. Ich sitze auf dem Rand eines Schlauchboots und bereite mich auf einen Tauchgang von 24 Stunden vor. Erstmals in meinem Leben kann ich mich heute von meinen Kameraden mit einem „Tschüss, bis morgen!“ verabschieden, bevor ich mich ins Wasser fallen lasse.
Bei diesen Worten ermesse ich den Wahnsinn erst so richtig: Ich werde tatsächlich während 24 Stunden unter Wasser bleiben und erst morgen zur selben Stunde auftauchen… Ich bin dazu entschlossen – schließlich habe ich schon lange davon geträumt –, doch auch ein bisschen unsicher. Ich habe Angst. Angst, es nicht zu schaffen, kalt oder Hunger zu haben, vor Erschöpfung vorzeitig aufgeben zu müssen. Seit Jahren unternehme ich „engagierte“, das heißt tiefe Tauchgänge. Diesmal geht es jedoch nicht um eine vertikale Übung, sondern um eine horizontale Bewährungsprobe. Das ist nicht mehr Tauchen, sondern ein Marathon! Ich beruhige mich, indem ich mir sage, dass meine Zweifel in einigen Stunden sowieso gegenstandslos sind. Denn dann werde ich nicht mehr jederzeit aufsteigen können, wie ich will. Die Mischung, welche ich einatme, wird mein Blut mit Helium sättigen. Obwohl ich heute nur 20 Meter tief tauche, benötige ich sechs Stunden Dekompression, um allmählich an die Oberfläche zu kommen, falls ich aufgeben müsste. Ein letzter Blick auf die Mitglieder meines Teams, und ich kippe nach hinten. Für zwei Zifferblattrunden bin ich weg.
Nichts ist wichtiger als genügend Zeit, um das „Geheimnis Zackenbarsch“ zu ergründen. Dabei geht es um das Laich-Rendezvous der Getarnten Zackenbarsche (Epinephelus polyphekadion) im FakaravaAtoll 490 Kilometer nordöstlich von Tahiti. Hier versammeln sich diese Fische ein einziges Mal pro Jahr im Juli in der Südpassage, welche die Lagune mit dem Ozean verbindet. Dieser Korridor, ein Bruch im Korallenriff, ist ein winziges Tor zwischen der breiten Lagune und dem größten Ozean der Welt. Hier sind die Strömungen stark, aber vorhersehbar: Sie folgen den Gezeiten, und die Lagune füllt und leert sich abwechselnd alle sechs Stunden. Dieser Rhythmus bestimmt eine Lebensweise, die sonst nirgendwo vorkommt und nicht immer ganz einfach ist. Hier zu leben ist ebenso vorteilhaft wie gefährlich: fressen ohne gefressen zu werden, den Räubern entkommen, um sich fortzupflanzen. Der Korridor beschleunigt all diese Prozesse. Der nur zwei bis drei Fußballfelder große Raum ist ein Konzentrat des Ozeans, ein paradiesischer Canyon. Doch für die Zackenbarsche wird er zur Falle, wenn die Grauhaie in Schwärmen eintreffen. Warum soll man sich hier fortpflanzen? Der Durchgang hat die Form eines Trichters, ideal für einen Hinterhalt. In Wirklichkeit haben die Zackenbarsche keine Wahl: Sie kommen hierher, um die einzige Strömung zu nutzen, die kräftig genug ist, um ihre Eier im Ozean zu verteilen, so wie Blütenpflanzen ihren Pollen durch den Wind verbreiten lassen.
Ich bin seit je von einer ganz einfachen Tatsache überzeugt: Um die Unterwasserwelt zu verstehen, muss man sich die Zeit nehmen und sie lange ununterbrochen beobachten können… Darum träume ich davon, beim Tauchen ähnlich vorzugehen wie ein Botaniker, der stundenlang durch den Wald streift und dabei mehrere Kilometer zurücklegt. Mir geht es bei diesem Projekt einzig und allein ums Beobachten, nicht darum, einen Rekord an physischer Widerstandskraft aufzustellen. Gelingt mir der Nachweis, dass es eine einfache neue Methode gibt, um länger tauchen zu können, die jeder gut trainierte Taucher ebenfalls nutzen kann, ist das Ganze ein Erfolg
Mein Freund Jean-Marc Belin hat sich ein Jahr lang mit dem Problem beschäftigt, welches ich in diesen 24 Stunden in einer Tiefe von etwa 20 Metern habe: mit der Dekompression. Theoretisch benötigt man nach 24 Stunden unter Wasser weitere 20 Stunden zum Auftauchen, also beinahe zwei Tage Tauchzeit. Das ist jedoch erst machbar, wenn man etwas anderes als Druckluft einatmet… Dafür wählte Jean-Marc eine radikale gasförmige Mischung: 87 Prozent Helium und 13 Prozent Sauerstoff. Dieser Cocktail wird sich während des Tauchgangs in meinem Organismus auflösen, ohne dass der Sauerstoff meiner Lunge schadet. Der Nachteil: Ein rascher Aufstieg ist untersagt. Nach 18 Stunden Tauchen wird es genügen, das Helium durch Luft zu ersetzen. Auf diese Weise kann ich meine Dekompression beginnen, ohne die Tiefe zu verändern, ich brauche nicht sofort aufzusteigen und kann mit meinen Beobachtungen weiterfahren… Darin liegt der Trick von Jean-Marc!
So weit bin ich jedoch noch nicht. Momentan bin ich erst drei Stunden unter Wasser und beobachte die Zackenbarschschwärme. Es ist die weltweit größte Versammlung dieser Art, die gegenwärtig bekannt ist: geschätzte 18 000 Fische. Es ist 18 Uhr, das Licht wird schwächer. Über dem Wasser wird die Sonne am Untergehen sein. Die Kollegen dürften jetzt zum ersten Nachschubtreffen aufbrechen, da mein Kreislaufatemgerät nicht genügend Autonomie für 24 Stunden besitzt und aufgeladen werden muss. Ich finde meinen Taucherkollegen Antonin an der vereinbarten Stelle. Er schwimmt mit meinem Rebreather in die Höhe und wird ihn vollgetankt so rasch wie möglich zurückbringen. Inzwischen warte ich auf dem Grund, an ein Notgerät angeschlossen. Jeder hat seine kleinen Manien. Mit meinem eigenen Rebreather ist es wie mit alten Turnschuhen: Man hat sich daran gewöhnt und will sie nicht tauschen, vor allem nicht für lange Wanderungen.
Die Operation ist perfekt abgelaufen, wenigstens aus meiner Sicht. Später erfahre ich allerdings, dass oben leichte Panik herrschte, weil die Strömung und die hereinbrechende Dunkelheit das Aufladen erschwerten.
Die Strömung kann bei stärkster Tide bis zu zwei Knoten erreichen. Dann stellen sich die Getarnten Zackenbarsche in Reih und Glied dagegen auf. Sie werden Woche für Woche zahlreicher und warten den großen Tag des Laichens ab.
Es ist Nacht… Zwölf Stunden Dunkelheit stehen mir bevor… Die Kollegen werden sich ablösen, Cédric, dann Manu, dann Antonin und schließlich nochmals Cédric. Einer nach dem andern werden sie mich jeweils drei Stunden begleiten, 10 Meter über mir mit einer leistungsstarken Lampe. Sie beleuchten meinen Weg! Und ich betrachte das als ein schönes Zeichen der Freundschaft. Ihnen verdanke ich diesen magischen Ausblick, dieses indiskrete Fenster zu den kleinen Geheimnissen des Nachtlebens…
Die Fische haben ihre Farbe gewechselt, sie haben ihr Pyjama angezogen. Ihr Schuppenkleid unterscheidet sich am Tag und in der Nacht so deutlich, dass ich Stunde für Stunde mein Bestiarium vervollständige. Die Nacht ist das Königreich der Krustentiere und Mollusken. In Polynesien zählt man über 5000 Arten. Tagsüber bleiben sie unsichtbar; sie warten die Dämmerung ab, um das Innere der Korallenstöcke zu verlassen. Doch sie sind vorsichtig und bleiben in der Nähe der Wohnungstür. Beim geringsten Lichtschein ziehen sie sich in die überbevölkerte Krypta des Korallenriffs zurück. Ich muss deshalb schnell handeln, um sie fotografieren zu können.
Es ist immer noch Nacht, ich habe bereits 7 Kilometer dem Riff entlang zurückgelegt, eine lange Schleife, die mich zum zweiten Mal an den Treffpunkt des Wiederaufladens führt. Es ist Mitternacht, und ich erwarte die Ablösung… Alles in Ordnung, mir ist nicht kalt, aber ich bin ungeduldig, weil ich erfahren habe, dass ein Taucher kürzlich in Ägypten einen Rekord aufgestellt hat. Er blieb in 5 Metern Tiefe 55 Stunden bewegungslos auf dem Sandboden liegen, nur durch einen langen Schlauch mit Sauerstoffflaschen am Strand verbunden. Vielleicht hat er Schlafmittel geschluckt, damit die Zeit schneller vergeht, während ich die Zeit zu verlängern suche.
Mitternacht. Die Zackenbarsche schlafen bereits seit sechs Stunden. Sie haben sich versteckt, wo und wie sie können. Sie sind so zahlreich, dass nicht alle einen sicheren Unterschlupf finden. Und die Haie patrouillieren. Johann, der Hai-Spezialist, hat seit unserer Ankunft fast täglich Zählungen durchgeführt. Er schätzt, dass sich etwa 700 Grauhaie in der Passage aufhalten. Das Wasser wirkt wie elektrisiert. Am Tag ist der Grauhai träge, er ruht sich in der Strömung aus, da die Zackenbarsche jetzt eh zu flink für ihn sind. Er wartet, bis seine Stunde gekommen ist, die Nacht, wenn die Zackenbarsche gezwungen sind, neue Kräfte zu schöpfen. Die Haie halten sich denn auch nicht mehr im offenen Wasser auf, sondern sind hinuntergeschwommen und drängen sich zu Hunderten auf dem Grund. Ihre Erregtheit beunruhigt mich, weil ich weiß, dass ich diese Nacht nicht nach Belieben auftauchen kann. Das bedeutet Stress, ist jedoch vor allem ein aufregendes Spektakel. Mir wird bewusst, wie sehr ihre Schnelligkeit am Tag unterschätzt wird… Nachts gelingt es mir kaum, ihnen mit den Blicken zu folgen. Viele Taucher glauben, das Jagdverhalten der Haie zu kennen, weil sie ihre simulierten Angriffe bei der Fütterung mit Ködern beobachtet haben. Heute kommt mir das sehr naiv vor, etwa so, als ob man wissen könnte, wie eine Wolfsmeute jagt, nur weil man einem Hund den Fressnapf hingestellt hat.
Yanick begleitet mich für einige Stunden mit seiner Spezialkamera Phantom Super Slow Motion, die 1000 Bilder pro Sekunde schießen kann. Vor ihm findet jetzt im Korridor ein brutaler, wilder Wahnsinn statt. Sieht man die Szene jedoch später in Zeitlupe, zeigt sich die Effizienz und Präzision des Angriffs der Haie. Sie verschlingen die Barsche zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden… Damit wird unser „Geheimnis Zackenbarsch“ noch rätselhafter. Man muss jedoch davon ausgehen, dass es sich für Zackenbarsche trotzdem lohnt, an diesem gefährlichen Ort als Laichtreff festzuhalten, weil die Gleichung zwischen Opfern und Vermehrung offenbar zum Vorteil der Art ausgeht. Diese mit Zeitlupe gefilmten oder fotografierten Jagdszenen, welche die Schnelligkeit der Angriffe festhalten, sind alle einzigartig. Meinen Kameraden geht es nicht anders als mir, sie sind außer sich vor Begeisterung. So als hätten wir ein Tabu verletzt: nachts im Korridor zu tauchen, wenn die Haie auf Jagd sind.
Während der ganzen Nacht bleiben die Haie mit mir in Kontakt. Die geringste Bewegung und der schwächste Lichtstrahl ziehen sie an. Zuerst nähert sich einer, dann sind es zwei, dann zehn, um ebenso rasch wieder zu verschwinden, wie sie gekommen sind – und eine Minute später beginnt das Ganze von vorn. Ich erkenne zudem die einzelnen Tiere, da häufig die gleichen reagieren. Alle schießen auf mich zu, die meisten machen jedoch rechtsumkehrt, ohne mich zu berühren; bei manchen kommt es zur Berührung, aber noch keiner hat je das Maul aufgerissen. (Als ich am nächsten Tag aus dem Wasser stieg, stellte ich allerdings zwei oder drei Blutergüsse auf den Schenkeln fest.)
Es ist 6 Uhr morgens. Auf dem Festland sagt man, der Tag beginne, wenn am fernen Horizont Licht aufsteigt. Hier steigt es hinunter. Am frühen Morgen trifft es von oben ein und macht sich langsam breit. Ein bleicher Schimmer hellt die schwarze Tinte bläulich auf. Es ist 6 Uhr, und die Glocken läuten. Zumindest geht mir dieser Gedanke plötzlich durch den Kopf, als es heller wird und ich die Wale singen höre! Ich sehe sie leider nicht, sie sind vielleicht Hunderte von Kilometern entfernt, singen jedoch für uns. Für wen denn sonst?… Ich weiß nicht, ob man unter einem 7 Millimeter dicken Neoprenanzug Hühnerhaut haben kann, aber es fühlt sich so an.
Es ist Zeit für den letzten Nachschub. Sané, der Polynesier, der seit zwanzig Jahren hier lebt, stattet mir einen kleinen Morgenbesuch ab. Mit verschmitztem Lächeln reicht er mir eine Tube Zahnpasta und eine Zahnbürste. Ich gehe mit Vergnügen auf sein Spielchen ein, allerdings ohne Wasser zu schlucken. Die Nacht liegt hinter mir und ein Großteil des Stresses auch. Es bleiben mir nur noch neun Stunden, um von den Überraschungen am Grund des Korridors zu profitieren. Es ist dennoch ein kritischer Moment: Unter den Augen von Jean-Marc ersetze ich die 87 Prozent Helium durch Luft. Mir wird überhaupt nicht schwindlig, alles okay. Diese Aktion bildet den Beginn meiner Dekompression, jedoch nicht den Anfang des Aufstiegs. Ich kann noch den ganzen Morgen in 20 Metern Tiefe bleiben.
Die Haie haben sich beruhigt, während nun Bewegung in die Zackenbarsche kommt. Die einen ziehen wieder gemächlich durchs Wasser, die anderen nehmen ihre wilden Laichkämpfe erneut auf. An diesem Morgen, nach einer ganzen Nacht an ihrer Seite, erscheinen sie mir wie Überlebende. Das 24-StundenExperiment bietet Gelegenheit zu einem berührenden Augenzeugenbericht: die Aufnahmen von tragischen Porträts, einer Sammlung von zerschlagenen Mäulern, von Fischen, die wie durch ein Wunder dem Tod entronnen sind und die Stigmen der nächtlichen Razzien der Haie tragen… tiefe Wunden, herausgerissene Flossen, verletzte Kiemendeckel, unter denen die Kiemen blankliegen. Doch offenbar scheint sie nichts zurückhalten zu können. Selbst in jämmerlichem Zustand demonstrieren sie ihren Fortpflanzungswillen und fordern sich gegenseitig heraus, immer und immer wieder. Ihr Verhalten macht mir den Eindruck, der Akt der Fortpflanzung sei hier keine Belohnung, sondern eine Opferung. Diese Fische sind nicht Meister ihres Schicksals, sondern Sklaven ihres Instinkts.
Die Gezeitenströmung wechselt ein letztes Mal, sie kehrt in die Lagune zurück, und ich lasse mich mitreißen. Es ist fast 15 Uhr, das Ende des Tauchgangs in Sicht... Jetzt bin ich seit mehr als 23 Stunden unter Wasser. Abgesehen von Zahnschmerzen wegen der Mundstück-Beißzapfen, die das Zahnfleisch verletzt haben, fühle ich mich gut… Die letzten Minuten rücken näher, und ich habe es eigentlich nicht eilig, das Abenteuer zu beenden.
Ich komme der Oberfläche noch etwas näher, und die Kollegen tauchen mir entgegen. Plötzlich habe ich doch große Lust, aus dem Wasser zu steigen, mit ihnen zu sprechen und zu lachen. Ich bin mir sicher, dass es ziemlich lebhaft wird. Am Tisch wird jeder auf seine Weise alle Einzelheiten dieses seltsamen Tags zum Besten geben, eine One-Man-Show nach der andern, burleske und spöttische, um unseren Stolz zu kaschieren. Ein wenig später werden wir unsere Gläser heben, zweifelsohne im Namen der Freundschaft und des Meeres, jedoch unter großem Gelächter, aus Scham, um unsere zu starken Gefühle zu ertragen. Im Namen der Freundschaft und des Meeres, doch ich weiß, unsere Blicke werden sich kaum kreuzen, zurückhaltend und vorsichtig bleiben, denn es gibt Werte, die einen so hoch hinauf tragen, dass einem offenen Auges schwindlig würde…
Seit dem 24-Stunden-Tauchgang ist ein Ruhetag vergangen. Euphorisch von dem noch ganz frischen Erlebnis, zusammengeschweißt wie nie zuvor durch den gemeinsamen Erfolg… die Begeisterung und den Zusammenhalt meines Teams habe ich noch nie so stark gespürt. Umso besser, denn die Arbeit ist noch keineswegs getan: Heute steht endlich der Tag des Juli-Vollmonds bevor, der Hochzeitstag der Getarnten Zackenbarsche. Von der ersten Minute dieses allerletzten Tauchgangs an ist eines offensichtlich: Das Ökosystem hat sich verändert. Zu Tausenden sind Füsilierfische eingetroffen, auch Barschverwandte, aber als Speisefische gewissermaßen die Sardinen der Tropen. So viele habe ich hier noch nie gesehen. Sie scheinen ebenfalls etwas Besonderes zu erwarten. Auch die Erregung der Zackenbarsche ist ungewohnt, doch nach Wochen der Auseinandersetzungen kam eine gewisse Raumorganisation zustande. Dieses Kunstwerk der Natur ist nicht mehr abstrakt, es gewinnt nun seinen ganzen Sinn. Da sind zunächst einmal die Weibchen oder Rogner. Im Tarnkleid und mit von den Eiern aufgeblähten Bäuchen stehen sie dicht über dem Meeresgrund oder ruhen am Boden. Direkt über ihnen patrouillieren die hellgrau gefärbten Männchen oder Milchner, die sie beobachten. Regelmäßig schwimmt einer über einem Weibchen, beginnt mit feinen Zitterbewegungen seine Parade, stößt dann blitzartig hinab und kneift es in den Bauch, um das Laichen anzuregen. Das Spiel wiederholt sich, ein Zeichen, dass das große Ereignis kurz bevorsteht.
Und plötzlich ist es soweit: Die Zackenbarsche schwimmen in Gruppen aufwärts, und die Fortpflanzung kann endlich beginnen! Leider geht alles viel zu schnell und ist zu weit von uns entfernt, um die intimen Einzelheiten mitzuverfolgen. Die immer zahlreicher werdenden Füsilierfische verdecken das Blickfeld so sehr, dass wir die Barsche kaum mehr sehen. Kaum breitet sich die Wolke aus Rogen und Milch aus, stürzen sich die Füsiliere darauf, um diese befruchtete Suppe zu schnappen.
Auf dem Grund der Passage herrscht ein heilloses Durcheinander. Die Zackenbarsche schnellen hin und her, sie schießen um uns herum wie ein lebendes Feuerwerk. Auch die Füsilierfische sind allgegenwärtig, und die Haie stürzen sich ins Kampfgewühl, kehren jedoch meist ohne Beute zurück. Der Angriff dauert eine knappe Sekunde und lässt uns nicht genügend Zeit, um zu begreifen, was sich abspielt. Eines scheint dennoch sicher: Jedes Mal schießt etwa ein Dutzend Barsche vom Grund in die Höhe, nie ein einzelnes Paar. Es herrscht Anarchie, das Gesetz des Stärkeren oder des Schnellsten.
Diese Beobachtung überrascht mich am meisten. Was bringt es, sich während vier Wochen bekämpft zu haben, wenn es nicht dazu führt, dass der Sieger ein Weibchen für sich alleine hat? Das ist doch sinnlos verschwendete Energie! Was bringt es, so früh am Laichplatz einzutreffen mit dem Risiko, nachts gefressen zu werden, wenn das am Tag der Fortpflanzung keinen erkennbaren Vorteil bringt? Ich verstehe es nicht. Das „Geheimnis Zackenbarsch“ bleibt ein Rätsel.
Ein wochenlanger Kampf, doch wenn es zur Fortpflanzung kommt, scheint keine Regel zu gelten: Alle Männchen, Sieger und Besiegte, flitzen zum Weibchen, das seine Eier ausstößt, und alle scheinen die gleichen Chancen zu haben, sie zu besamen. Bloß die Meeresströmung, die diese Begattungssuppe vermischt, entscheidet über das Wer-mit-wem. Wird der glückliche Erzeuger allein durch den Zufall bestimmt? Ich kann es nicht glauben. Das ist das wahre „Geheimnis Zackenbarsch“, und uns ist irgend etwas entgangen… Doch wie verschafft man sich ein klares Bild davon? Die Paarung findet dermaßen rasch statt… Wobei diese Schnelligkeit verständlich ist, um den Haien zu entkommen und die Eier der Weibchen als erste zu besamen. Doch vielleicht verbirgt sich hinter dieser Schnelligkeit eine andere Wahrheit.
Einmal mehr befindet sich Yanick im richtigen Augenblick am richtigen Ort. Mit seiner Spezialkamera filmt er eine rasante Paarung… Eine Momentaufnahme des Lebens von nur einer Sekunde, jedoch einer Sekunde, aus der dank der Zeitlupe 40 Sekunden werden. Und in Zeitlupe scheint alles klar zu werden: Man sieht genau, dass ein einzelnes Männchen die Runde um ein Weibchen dreht und mit ihm Wange an Wange schwimmt, so lange es kann… Dieser Milchner hat damit noch keineswegs das Exklusivrecht gewonnen, bloß den Vorrang, da die anderen Männchen bereits auf das Pärchen zustreben. Er hat seine dominante Stellung in vier Wochen erbitterten Kämpfens teuer bezahlt, profitiert jedoch jetzt nur von diesem kurzen Vorsprung, um den Rogen vielleicht vor den anderen Männchen zu befruchten. Sie alle versuchen ihr Glück, indem sie die Szene mit ihrem eigenen Samen überschwemmen, allerdings mit einer Mikrosekunde Verspätung.
Der Schlüssel zum Verständnis des „Geheimnisses Zackenbarsch“ war damit gefunden. Dank der Zeitlupe konnten wir den einen Sekundenbruchteil dauernden Vorgang beobachten und die Existenz einer wenn auch kurzen Hierarchie nachweisen, einer millimetergenauen Choreografie, die von bloßem Auge nicht erkennbar ist. Ich hatte 24 Stunden unter Wasser verbracht, während die Lösung im Bruchteil einer Sekunde gefunden wurde! Trotzdem trifft wohl zu, dass man sich Zeit nehmen muss, wenn man den richtigen Augenblick festhalten will.
Selbstverständlich haben wir nicht alles verstanden. Wie könnte man dies auch behaupten bei einem Ereignis, das man nur einmal pro Jahr beobachten kann? Doch eines ist jedenfalls sicher: Jedes Jahr, wenn es im Juli Vollmond wird, werden auch wir künftig Lust haben, hierher zurückzukehren. Erstmals nächstes Jahr… und dann in zehn, zwanzig, vierzig Jahren. Denn in diesen Hochburgen der Biodiversität sind ökologische Studien nur sinnvoll, wenn sie wiederholt werden, Jahr für Jahr. Die bei dieser Expedition gesammelten Zahlen haben nur einen Wert, wenn man sie mit später erfassten Daten vergleichen kann. Wir zählten etwa 700 Grauhaie und 18 000 Zackenbarsche: Wie viele werden es in zwanzig Jahren sein? Das Fakarava-Atoll mit seinem Korridor hat von der Unesco den Status eines Biosphärenreservats erhalten. Doch wird das genügen, um es vor den ökologischen Krisen des 21. Jahrhunderts zu schützen? In den anderen großen Atollen Polynesiens gab es diese jährlichen Versammlungen der Zackenbarsche früher ebenfalls. Heute sind alle verschwunden.
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Die enge Beziehung von Blancpain zur Welt der Meere begann mit der Fifty Fathoms, der ersten modernen Taucheruhr. Sie gilt zu Recht als eine der entscheidenden Entwicklungen in der gesamten Geschichte des Flaschentauchens und der Erforschung der Ozeane. Die wichtige Rolle dieser inzwischen ikonischen Uhr bei der Erschließung der Unterwasserwelt führte zu engen Kontakten zwischen Blancpain und führenden Wissenschaftlern, Unterwasserpionieren und -fotografen sowie Umweltschützern, die ihr Leben der Meereswelt verschrieben haben.
Dank diesen Beziehungen erkannten wir bei Blancpain, wie grundlegend wichtig es ist, die Weltmeere zu schützen und zu erhalten.
Deshalb begann unser Unternehmen verschiedene bedeutende Initiativen für den Schutz der Ozeane intensiv zu fördern.
Unsere Anstrengungen für dieses große Anliegen fassen wir unter dem Begriff „Blancpain Ocean Commitment“ zusammen. Umgesetzt wurde dieses Engagement, indem wir Partnerschaften mit führenden Organisationen schlossen und seither ihre Projekte unterstützen, darunter auch die Gombessa-Expeditionen von Laurent Ballesta. Blancpain ist stolz darauf, diese beiden Expeditionen gesponsert zu haben, über deren wichtige Erkenntnisse wir in verschiedenen Ausgaben der Lettres du Brassus berichteten.