Skip to main content

Kapitel 5

JOËL ROBUCHON

Der am meisten ausgezeichnete Koch unserer Zeit.

Autoren der Kapitel

JEFFREY S. KINGSTON

Autoren der Kapitel

JEFFREY S. KINGSTON
JOËL ROBUCHON
JOËL ROBUCHON
Ausgabe 16 Kapitel 5

Das Urteil von Michelin: 25 STERNE – weitere dürften folgen!

Ist es überhaupt möglich, glaubwürdig und seriös einen Küchenchef als den weltweit gefeiertsten zu nominieren? Vergessen Sie die von einer Mineralwasserfirma verhökerte groteske und amateurhafte Liste der „World’s 50 Best Restaurants“. Da gibt es weder eine Kontrolle noch wird vorgeschrieben, dass die unprofessionellen Jurymitglieder tatsächlich in den Lokalen gegessen haben, die sie bewerten. Schauen Sie lieber in den Guide Michelin und den Gault&Millau. Führend ist zweifellos der Michelin – er existiert seit dem Jahr 1900 – mit dem 1926 eingeführten Sterne-Benotungssystem, dessen Strenge von seinen Lesern geschätzt und von den Restaurantbesitzern gefürchtet wird. Toprestaurants, die nach den krönenden drei Sternen streben, werden von den Inspektoren anonym und jedes Jahr mehrmals besucht. Als Beweis für seine Integrität und Unparteilichkeit bei der jährlichen Beurteilung gilt der bekannte Wahlspruch „Ni piston, ni pot-de-vin“. Das heißt, dass man sich bei Michelin weder unter Druck setzen noch bestechen lässt. Das Prüfungssystem des Gault&Millau ist der berühmten Diskretion von Michelins geheimgehaltenen Inspektionen nicht ebenbürtig. Seine Tester sind jedoch professionell und erfahren. Die beiden maßgebenden Institutionen haben ihre Bewertungen vereinigt und eine Person zum bedeutendsten Koch der Welt gekürt. Von Michelin erhielt er für seine Restaurants rund um den Globus insgesamt 25 Sterne (sein neustes Lokal in Bordeaux wurde vor kurzem eröffnet, zu früh, um von Michelin mit Sternen belohnt zu werden), wesentlich mehr als jeder andere Koch. Von Gault& Millau wiederum erhielt er die höchste Punktezahl, 19,5 von 20 Punkten, bevor nach einem kurzen Intermezzo mit zwei 20-Punkte-Köchen die Toplimite in Frankreich auf heute 19 Punkte beschränkt wurde; außerdem erhielt er den Titel „Koch des Jahrhunderts“. Zählt man diese Trophäen zusammen, erweist sich Joël Robuchon eindeutig als der am höchsten bewertete Koch unserer Zeit.

JOËL ROBUCHON
La betterave, en duo d’avocat aux pousses de salades amères, sorbet à la moutarde verte.

La betterave, en duo d’avocat aux pousses de salades amères, sorbet à la moutarde verte.

Robuchon führt heute zwei RESTAURANT-FORMATE, die „Ateliers“ und die „Grands Restaurants“.

Robuchon hatte eigentlich zwei Karrieren. Die erste war absolut konventionell und kulminierte 1984 im dritten Michelin-Stern für sein Pariser Restaurant Jamin im schicken 16. Arrondissement. Konventionell in Anführungszeichen, denn immerhin hatte er diesen hohen Podest in nur drei Jahren und im Alter von 39 Jahren erlangt, beides Rekorde in der Geschichte der Michelin-Bewertung. Mit der für ihn typischen Bescheidenheit kommentierte Robuchon damals diesen Doppelrekord des schnellsten Aufstiegs und jüngsten Dreisternekochs: „Drei Sterne zu erhalten heißt nicht, dass ich das wert bin, es bedeutet lediglich, dass ich das Recht habe, dies zu beweisen.“ Zehn Jahre später zog er in ein größeres Lokal an der Avenue Raymond-Poincaré in Paris und änderte den Namen seines Restaurants auf „Joël Robuchon“.

Lange blieb er nicht dort, denn schon zwei Jahre später, 1996, schloss er das Lokal. Diese Entscheidung auf dem Gipfel seines Ruhms begründete Robuchon fast wehmütig, er habe bis dahin stets so intensiv gearbeitet, vor allem in den Wintermonaten, dass er noch nie den Schnee in den Alpen mit eigenen Augen gesehen habe.

Obwohl er in der Folge beim französischen Fernsehen als Hauptakteur der Sendung Cuisinez comme un grand chef vollauf beschäftigt war, hatte er sich bis 2003 ziemlich weit von der Restaurantwelt entfernt. In diesem Jahr begann er seine zweite Karriere. Weil ihn seine Freunde und Kollegen beknieten, sein Können doch wieder in einem Restaurant zu entfalten, ließ sich Robuchon überreden, in dieses Universum zurückzukehren, allerdings nur unterstützt von weiteren Spitzenköchen und hervorragenden Kochbrigaden. Er wollte nicht mehr ständig und Tag für Tag an ein einziges Restaurant gebunden sein, wie dies in seiner ersten Karriere der Fall gewesen war, sondern als kreative Kraft und Inspiration für Restaurants wirken. Passend dazu entwickelte Robuchon ein völlig neues Restaurantkonzept unter dem Namen „L’Atelier de Joël Robuchon“. Im Gegensatz zum Grand-Restaurant-Format wie dem „Jamin“ und dem „Joël Robuchon“, das ihn in den achtziger und neunziger Jahren zum Star gemacht hatte, sollte „L’Atelier“ – die Werkstatt – eine zwanglosere Atmosphäre bieten: mit offenen Küchen, entspanntem Service und als radikalster Änderung mit Essbars, an denen die Gäste nebeneinander sitzen und den Köchen hinter dem Tresen zuschauen können. Beibehalten wollte er hier jedoch viele seiner legendären Gerichte. Bei diesem Modell steht das Essen im Vordergrund, während das Zeremoniell weitgehend dahinfällt.

Die beiden ersten „Atelier“-Restaurants öffneten 2003 ihre Pforten, eines in Tokio und das andere auf der Rive Gauche in Paris, an der Rue Montalembert 5 neben der Rue du Bac im 7. Arrondissement. Danach sei alles fast wie von selbst gelaufen, so dass seither Robuchon-„Ateliers“ rund um den Globus Feinschmecker an ihren Tresen bekochen: Es gibt ein zweites Lokal in Paris in der Nähe der Place de l’Étoile, eines in London, Hongkong, Taipeh, Las Vegas, Singapur...

Eine Konstante ist das Vertrauen ROBUCHONS IN SEIN TEAM.

Obwohl Robuchon ursprünglich dem Grand-Restaurant-Stil abgeschworen hatte, als er das zweite Kapitel seiner Karriere begann, gestattete er sich einige Ausnahmen. Er bezeichnet sie als „gastronomisch“ und führt solche Lokale in Las Vegas, Tokio, Macao, Hongkong und als neuste Schöpfung das Restaurant La Grande Maison in Bordeaux.

Die Frage drängt sich auf: Wie schafft es Robuchon, in diesem beeindruckenden und geografisch weit gespannten Reich die Übersicht zu behalten? Darauf gibt es vier Antworten. Erstens wählt er selbstverständlich für jedes Lokal einen Küchenchef aus, der die Fähigkeit und Kraft hat, seine Rezepte zu meistern und die Küchenbrigade zu führen. Zweitens hat er ein fünfköpfiges Team zusammengestellt, das bei den Fluggesellschaften zweifellos beliebt ist, weil es ständig von Stadt zu Stadt reist und die Qualität jedes Restaurants kontrolliert. Außerdem besucht auch Robuchon selbst unablässig all seine Betriebe, um einerseits Gewähr für ihr Niveau zu haben und sie andererseits bei der Auswahl der lokalen Lieferanten zu unterstützen.

Die vierte Konstante schließlich ist noch wichtiger als alle übrigen, und sie ist gegenseitig: das grenzenlose Vertrauen und die Loyalität zwischen Robuchon und seinen Mitarbeitern in Schlüsselpositionen. Ein Beispiel ist Küchenchef Éric Bouchenoire, „Un des Meilleurs Ouvriers de France“ (diese in Frankreich sehr angesehene Auszeichnung ist am Trikolore-Kragen der Kochjacke zu erkennen, die nur „Einer der besten Arbeiter Frankreichs“ tragen darf), der seit dreißig Jahren Robuchons engster Mitarbeiter ist und dabei nie das Rampenlicht suchte. Oder Philippe Braun, der schon in der „Jamin“-Ära an Robuchons Seite war und 2003 erneut zu ihm stieß, als das zweite Kapitel begann, bevor er vor zwei Jahren in Toulouse sein eigenes Restaurant eröffnete. Und Tomonori Danzaki, dessen Karriere bei Robuchon in Tokio begann. Er folgte ihm nach Las Vegas und Singapur, heute ist er der Chefkoch im Restaurant La Grande Maison in Bordeaux.

In den Außenposten braucht es bestimmt eine gewisse Flexibilität. Man muss nicht bloß den lokalen Vorlieben Rechnung tragen, noch wichtiger sind die einheimischen Zutaten. Innereien und Kaninchen etwa sind in Frankreich höchst beliebt, doch in den Vereinigten Staaten gibt es dafür so wenig Anhänger, dass sie im „Atelier“ in Las Vegas nicht auf der Karte stehen. Joël Robuchons Kochphilosophie hingegen wird in all seinen Restaurants rund um den Globus reproduziert. Während der mehr als drei Jahrzehnte, in denen ich seine Laufbahn verfolgte (und ja, wir hatten das Glück, das „Jamin“ in Paris im Spätherbst 1983 kennenzulernen, einige Monate, bevor ihm Michelin seinen dritten Stern verlieh), beharrte er standhaft auf seinem Konzept der Frische, der Reinheit und einer geschmacklichen Intensität, die ohne jegliche Kunstgriffe herausgearbeitet wurde. Einige seiner Kreationen aus der Zeit des „Jamin“ überdauerten. Denn seine Verehrer würden mit Spitzhacken und brennenden Fackeln auf die Straße gehen, wenn sein berühmtes und unerreichtes Purée de pommes de terre eines Tages von der Karte verschwunden wäre. Und stets getreu seinem Credo ist er weiterhin innovativ; die Filets de maquereaux grillés au curcuma et à la coriandrefraîche oder eine Kokosnuss-Tandoori-Sauce zum Petersfisch gehören zu den Neuschöpfungen, die früher nicht auf der Karte standen.

Caviar en surprise sur araignée de mer et une infusion de corail anisée.

Caviar en surprise sur araignée de mer et une infusion de corail anisée.

Unten: Le homard aux fines lamelles de daïkon en aigredoux au romarin.

Unten: Le homard aux fines lamelles de daïkon en aigredoux au romarin.

Die „Ateliers“ von Robuchon sorgen für einen MODERNEN TOUCH.

„L’Atelier Saint-Germain de Joël Robuchon“, Paris, 7. Arrondissement

Dieses Restaurant begründete den Stil und die Ambiance aller später eröffneten Robuchon-„Ateliers“. Schwarze Wände und Decken, kontrastierende rote Lederstühle und Accessoires; eine offene Küche, die auf drei Seiten von Tresen eingefasst wird; schwarz gewandete, trendig wirkende Kellner. Zur Betonung der lockeren Atmosphäre werden die Gerichte den Gästen über die Esstheke serviert, statt von hinten, wie es die Tradition verlangt; teilen sich die Gäste ein Gericht, wird es auf einer höheren Ebene der Theke plaziert. Weil man nicht an getrennten Tischen sitzt, fällt es leichter, unbekannte Nachbarn spontan zu fragen, wie ihnen ihr Gericht schmeckt. Stellen Sie sich jetzt etwas Ähnliches wie ein Feinschmecker-Gemeinschaftsessen oder die westliche Interpretation einer japanischen Sushi-Bar vor, liegen Sie nicht falsch.

Heute hat Robuchon den jungen Koch Axel Manes als Chef der Rive-Gauche-Brigade engagiert. Bei einem Besuch neueren Datums gab’s zum Auftakt ein Glas Champagner, begleitet von einer Platte mit fast transparentem Rindscarpaccio, beträufelt mit köstlichem Olivenöl. Visuell und geschmacklich erinnerte es an Ibéricoschinken, war aber viel subtiler und dezenter. Den nötigen Pep lieferten die dazu servierten ätherisch leichten und knusprigen Tempura mit grünem Pfeffer und Piment d’Espelette.

Das Food Sharing ging weiter mit einem Ceviche de dorade, gewürzt mit Schnittlauch, Limettensaft und -zeste sowie etwas Piment d’Espelette: ein Volltreffer, die gelungene Verbindung von Herzhaftigkeit und Raffinesse! Jeder Bissen verdampfte wie magisch im Mund, ohne matschig zu wirken, wie dies bei weniger gekonnten Ceviches leider häufig der Fall ist. Dann folgten separat angerichtete Teller. Der erste, Asperges vertes de Cavaillon, jambon ibérique, parmesan, sauce mousseline, eine ganz und gar klassische Kombination, war mit millimetergenauer Präzision und hervorragenden Zutaten zubereitet. Der Rauchgeschmack des Schinkens und die Süße der Spargeln wurden durch die exquisit ausgewählten Zutaten zum Musterbeispiel einer einfachen, ungekünstelten Küche und der Perfektion in allen Details.

JOËL ROBUCHON
„L’Atelier Saint-Germain“ im 7. Pariser Arrondissement.

„L’Atelier Saint-Germain“ im 7. Pariser Arrondissement.

Lockere Atmosphäre, RAFFINESSE AUF DEM TELLER.

Da es Frühling war, standen als nächstes Morcheln auf dem Programm, und zwar in Form von Cannelloni végétaux, sauce au vin jaune. Die Cannelloni waren mit einer Farce von Knollensellerie und Morcheln gefüllt. Die Pasta und der Sellerie waren perfekte Träger für die Morcheln, indem sie deren erdigen Geschmack verstärkten.

Der danach servierte Petersfisch war mit einer irisierenden Kokosnuss-Tandoori-Sauce nappiert. Der Saint-Pierre ist ein zwiespältiges Wesen, das viel Fingerspitzengefühl erfordert. Einerseits verlangt der geschmacklich feine Fisch nach einer Sauce mit Charakter, damit er interessant wird, andererseits darf sie den Eigengeschmack nicht vollständig überlagern. Wiederum fand der Küchenchef das Gleichgewicht. Tandoori kann eine Speise komplett dominieren, wenn es ungeschickt eingesetzt wird. Hier schenkte es dem weißen Fischfleisch als Glanzpunkt eine angenehm rauchige Note.

Der Fleischgang bestand aus gegrilltem Rind, serviert mit einer tiefen Sauce, einer Glace de viande, und Schalottenschaum, der dieses klassische Gericht über den Durchschnitt stemmte.

Großes Theater kennzeichnete den Dessert-Hauptgang. Die Servierplatte war ein Trompe-l’œil in Form einer Aufnahme von zwei Händen, die einen Glasglobus zu halten schienen. Dieser entpuppte sich als Füllhorn verschiedener Schokoladearomen und -texturen: Schokolade-Passionsfrucht-HimbeerChip, Malzkugeln, salziges Schokoladepulver und Mousse au chocolat. Ein Geniestreich. Man gab uns den Tipp, diese Schoko-Variationen zusammen zu genießen. Zauberhaft.

Als letzte Überraschung erwarteten uns Petits-fours, darunter kleine Stücke einer Tarte vaudoise. Dieser klassische Schweizer Fladenkuchen, den man selten außerhalb der Landesgrenzen antrifft, stammt aus dem Kanton Waadt, der Heimat von Blancpain. Er zeichnet sich durch eine stark reduzierte, mit Zimt gewürzte Rahmfüllung aus. Robuchons Interpretation war perfekt.

Asperges vertes de Cavaillon, jambon ibérique, parmesan, sauce mousseline.

Asperges vertes de Cavaillon, jambon ibérique, parmesan, sauce mousseline.

Le chocolat tentation.

Le chocolat tentation.

„La Grande Maison“, Bordeaux

Dieses neuste Gastro-Restaurant wurde im Dezember 2014 eröffnet, in der Küche führt wie erwähnt Tomonori Danzaki das Zepter. Es war praktisch augenblicklich erfolgreich; heute muss man die Tische zwei Monate vorher reservieren. Das Lokal befindet sich in einem liebevoll restaurierten ehemaligen Landsitz mit luxuriös weit voneinander getrennten Tischen, hohen Decken, geblümten Gardinen, Baccarat-Kristall-Leuchtern, goldgerahmten Spiegeln. In einem zweiten Raum findet sich eine Bibliothek mit ledergebundenen Büchern – alles atmet klassische französische Größe.

Angeboten werden ein vorgegebenes Degustationsmenü sowie nach der Tageskarte individuell zusammengestellte Menüs.

Einer von Robuchons großen Klassikern führte die Parade des Degustationsmenüs an, Caviar en surprise sur araignée de mer et une infusion de corail anisée. Bei diesem Gericht verbirgt eine großzügige Portion caviar d’Aquitaine in Form einer schwarzen Scheibe vollständig eine köstliche Krabbenspinne. Eine Art modernes Gemälde umrahmt den Kaviar: Auf einem intensiv schmeckenden Krabbengelee sind winzige Blumenkohlröschen angeordnet, alle mit einem fast mikroskopischen grünen Häubchen dekoriert. Es kommt einem sündhaft vor, die Komposition mit dem Löffel zu zerstören. Doch wir zerstörten sie, und mit Genuss. Die verschiedenen Dimensionen dieses perfekten Gerichts erschlossen sich uns mit jedem Bissen: das Wechselspiel der süßlichen Krabbe mit dem salzigen Kaviar, die Tiefe und bemerkenswerte Kraft des Gelees mit der subtilen Erdigkeit der Blumenkohlröschen. Selbst mit der Armada von Gängen, die hinter den Kulissen auf uns wartete, war die Versuchung groß, das Prozedere an diesem Punkt zu beenden und uns mit einigen Supplements dieses Gerichts zu begnügen.

Das vor einem Jahr in Bordeaux eröffnete Restaurant La Grande Maison.

Das vor einem Jahr in Bordeaux eröffnete Restaurant La Grande Maison.

JOËL ROBUCHON

Alles in „LA GRANDE MAISON“ zeugt von französischer Größe.

Es ist paradox: Warum gibt man sich herkulische Mühe, landwirtschaftliche Betriebe zu finden, die perfekte Erzeugnisse produzieren, während immer weniger Gemüse auf den Teller kommt, je berühmter das Restaurant ist? Garnituren, ja. Akzente, ja. Doch im Mittelpunkt steht Gemüse höchst selten. Dieser Schule gehört Joël Robuchon eindeutig nicht an. „La Grande Maison“ bietet mehrere Gerichte, in denen die Gemüse voll im Rampenlicht stehen. Beispiele: La betterave, en duo d’avocat aux pousses de salades amères, sorbet à la moutarde verte. Ausgewogen, raffiniert und harmonisch, offenbart jede Gabel voll ein verblüffendes Zusammenspiel von Süße, Erde, Gras und Gewürzen. Ebenfalls ein Publikumshit ist L’artichaut, rôti sur une purée onctueuse, voilé d’un cappuccino de pois chiches au curcuma et à la coriandre fraîche. Konzentrierte Röstnoten und Süße bei den Artischockenherzen, umhüllt von der Samtigkeit des Pürees. Der mit reichlich Safran und etwas rauchigem Kurkuma akzentuierte Kichererbsenschaum verleiht dem Gericht Tiefe und Noblesse.

Zwei Schalentiergerichte waren hervorragend. Le homard aux fines lamelles de daïkon en aigre-doux au romarin: Der auf den Punkt gegarte, fast glasige Hummer war mit einer Scheibe transparentem Daikon ummantelt, einem milden ostasiatischen Riesenrettich, und sah wie ein Raviolo aus. Der marinierte Daikon lieferte die mit dem Hummer harmonierenden süßen Noten, und das Ganze badete in einer auf Muschelfond aufgebauten Sauce. Les écrevisses dans un bouillon léger aux morilles dans un navet nouveau farci: Flusskrebse sind delikat und werden zu oft von den übrigen Zutaten übertönt. Hier wird diese Gefahr mit einer diskret mit Morcheln angereicherten, aufgeschäumten Krebsbouillon umschifft. Die feinen, konzentrierten Aromen werden nur angedeutet. Einer der in Frankreich so beliebten navets (Mairüben) dient als Servierschüssel und liefert einen süßlichen Kontrapunkt. Perfekt.

Eine Reverenz an den Fernen Osten ist Le bar de ligne cuit en côtelette, petites feuilles d’épinards ravigotées au poivre noir de Malabar. Der zylinderförmige, in seine eigene schwarze und knusprige Haut gewickelte Wolfsbarsch erinnerte an eine Sushi-Rolle, daran änderte auch das als Segel gesetzte kleine Pak-choi-Blatt nichts. Fernöstliches Flair verbreitete auch die tiefe, reichhaltige Sauce, die nach Soja duftete und feine süße, rauchige Noten beisteuerte.

Der Hauptgang, ein ECHTER HÖHEPUNKT.

Der Hauptgang war eine Glanzleistung. Pintade fermière et foie gras rôti, pommes de terre confites au jus gras. Das perfekt goldbraun gebratene Perlhuhn von majestätischer Größe wurde am Tisch präsentiert. Der Vogel war in jeder Hinsicht vorbildlich: knusprige Haut, sehr schmackhaftes Fleisch mit so viel Biss, wie es ein Huhn hat, das nicht im Käfig, sondern im Freien und mit ausreichend Auslauf aufgewachsen ist. Dazu gab’s einen konzentrierten Jus und eine großzügige Portion gebratener Gänseleber – dieses Gericht würde sich auch für eine Orgie von Wild-Liebhabern eignen. Und um die Robuchon-Fans nicht zu enttäuschen, wurden sowohl Bratkartoffeln als auch sein legendäres Kartoffelpüree dazu serviert.

„La Grande Maison“ lässt eine vergangene Herrlichkeit der Tischkultur wieder aufleben, den Dessertwagen. Er ist mit Saisonfrüchten, Kuchen, Pralinen und Mousses reich beladen, und die Gäste können so viel auswählen, wie Lust und Appetit erlauben. Die als Frühlingsspezialität auf der Karte angebotene ErdbeerRhabarber-Tarte mit einer dünnen Pistazienschicht zwischen der Frucht und dem Teig setzte einen hohen Maßstab. Desserts werden auch auf dem Menü angeboten, etwa Le citron, crème légère au mascarpone, sorbet au basilic, ein hocharomatischer Punch aus Menton-Zitronen, der durch den Mascarpone gezähmt und dann von der Gewürzexplosion des Sorbets abgelöst wird. Ein weiteres Meisterwerk, La perle de sucre aux fruits exotiques, granité Royal Ambré, légèreté à la noix de coco, ist die federleichte Komposition von Passionsfrucht, Rum-Granité und einer wolkigen Kokosmousse, Bestandteile, die man mit jedem Bissen zusammen genießen sollte.

Joël Robuchon ist in mancher Beziehung der Mick Jagger der Haute Cuisine. Wie Jagger im Alter von 72 Jahren immer noch voller Power ist, verfügt offenbar auch Robuchon mit seinen 70 Lenzen über eine schier unerschöpfliche Energie und Kreativität. Es ist bereits eine bemerkenswerte Leistung, zwei unterschiedliche Restaurantstile wie seine „Ateliers“ und die gehobenen Feinschmeckerlokale in ein und derselben Stadt zu führen. Noch erstaunlicher ist, wenn man dies rund um den Globus tut und dabei den Beifall der gefürchtetsten Restaurantkritiker, jener des Guide Michelin, auf Nummer sicher hat.

Pintade fermière et foie gras rôti, pommes de terre confites au jus gras.

Pintade fermière et foie gras rôti, pommes de terre confites au jus gras.

Kapitel 06

ZEIGER

Fein, vielfältig und von fordernder Präzision.

Autoren der Kapitel

JEFFREY S. KINGSTON
ZEIGER
Weiterlesen

Andere Ausgaben

Registrieren Sie sich und erhalten Sie neue Veröffentlichungen