Kapitel 4
Ein Markenzeichen von Blancpain.
Zwei Gestirne und ihre Umlaufbahnen dominieren den Himmel, wobei das eine für uns wesentlich bedeutender ist als das andere. Denn ohne die Sonne gäbe es auf der Erde kein Leben, doch ohne den Mond wäre die Welt zwar bestimmt ein wenig anders, sein Fehlen hätte aber den Planeten Erde wohl kaum wesentlich beeinflusst. Auf den ersten Blick könnte man sich wundern, wieso das Nachtgestirn Laien und Gelehrte im Lauf der Jahrtausende weit mehr beschäftigte als seine große Schwester. Doch der Mond ist schlicht das einfachere Studienobjekt, weil die Sonne mit ihrer intensiven Strahlung dem Menschen verbietet, sie längere Zeit mit bloßem Auge zu betrachten. Allein schon deshalb ist der Mond seit Urzeiten ein Objekt der Bewunderung und Kontemplation.
Da er sich so leicht beobachten lässt, hat der Mond die Phantasie der alten Völker und Kulturen denn auch entsprechend angeregt. Vor allem in Mesopotamien, Indien und Ägypten hatte der Mond einen höheren oder zumindest ebenso hohen Stellenwert wie die Sonne. Bei anderen Zivilisationen war der Mond das Kernelement der Religion. Und mit seinen gut sichtbaren, sich ständig wiederholenden Phasen bot der Mond die ideale Grundlage für die Erstellung von Kalendern und die Einteilung in Monate, Wochen und Tage. So basiert der traditionelle chinesische Kalender seit Jahrtausenden auf den Mondzyklen, auch wenn China 1949 den gregorianischen Kalender übernommen hat. Die abendländischen Völker haben sich mittlerweile längst an diese Zeitrechnung gewöhnt, die sich grundsätzlich nach der Sonne richtet und Ende des 16. Jahrhunderts von Papst Gregor XIII. verkündet wurde. Deshalb ist die Schlüsselrolle, die der Mond in der Berechnung des westlichen Kalenderjahres einst spielte, etwas in Vergessenheit geraten. Der von Julius Cäsar eingeführte julianische Kalender stützte sich hauptsächlich auf die Sonne und den Mond ab. Das vorher gültige römische Kalenderjahr hingegen richtete sich nach dem Mond und war in zwölf Monate aufgeteilt, wurde jedoch in unregelmäßigen Abständen an das Sonnenjahr angepasst. Auch die alten Griechen hatten mehrere Lunisolarkalender, die Mond und Sonne berücksichtigten, jedoch grundsätzlich auf den zwölf Mondmonaten beruhten. Jeder Monat begann mit dem Neumond, und jeder Vollmond wurde als Festtag gefeiert.
Abgesehen von ihrer religiösen und kalendarischen Bedeutung spielten die Mondphasen auch im Alltag eine wichtige Rolle. Bevor es moderne Beleuchtungssysteme gab, war der Himmel bei Vollmond etwa 25-mal heller als bei Viertelmond, was den Bauern Gelegenheit bot, mit dem Tagwerk auf dem Feld bis spät in die Nacht fortzufahren, weshalb man im Englischen den harvest moon kennt (der deutsche „Erntemond“ bezeichnet je nach geografischer Breite die Monate August bis Oktober). Auch außerhalb der Landwirtschaft fand der Mond als Symbol für (allzu) langes Arbeiten Eingang in die englische Sprache: Der Begriff moonlighting wird heute allgemein auf jede zusätzliche Tätigkeit angewandt.
Die Kenntnis der Mondphasen spielte zudem eine wichtige militärische Rolle. Julius Cäsar startete seine Angriffe mit Vorliebe in dunklen Neumondnächten, in der Hoffnung, die Finsternis verwirre und desorientiere den Feind. General Eisenhower hingegen plante den D-Day unter entgegengesetzten Gesichtspunkten. Für den Angriff zur See in der Normandie wählte er einen Tag möglichst nah bei Vollmond, damit den Fallschirmjägern und Lastensegler-Piloten in der Nacht zuvor möglichst viel Licht für den Absprung und die Landung hinter den deutschen Linien zur Verfügung stand.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Anzeige der Mondphasen praktisch von den ersten Zeitmessern an ein zentrales Element darstellte. Die älteste mechanische Vorrichtung mit der Darstellung der Mondphasen wurde vermutlich von Archimedes im 3. Jahrhundert v. Chr. gebaut. Zwar existiert dieses Instrument nicht mehr, es gibt jedoch geschichtliche Belege für diese Erfindung. Cicero erwähnt in seinem Werk De re publica Globen, die der römische General Marcus Claudius Marcellus bei der Eroberung von Syrakus erbeutet hatte. Tatsächlich handelte es sich um zwei Objekte, das eine wurde im Tempel der Vesta aufgestellt, das andere behielt Marcellus selbst. Laut den schriftlichen Zeugnissen zeigten diese kugelförmigen Maschinen das Zunehmen und Abnehmen des Mondes an.
Noch ausgeklügelter ist der legendäre Mechanismus von Antikythera. Fragmente dieses Instruments wurden 1901 im Wrack eines Schiffes geborgen, das vermutlich zwischen 80 und 50 v. Chr. auf der Route von Rhodos nach Rom gesunken war. Erst viel später konnte man mittels moderner Verfahren die Komplexität und Präzision dieser mit Zahnrädern betriebenen Wundermaschine nachweisen. Sie berechnete nicht nur die siderischen und synodischen Monate (der siderische Monat ist auf einen Fixstern, der synodische auf den Mond bezogen), sondern war zudem mit Gravuren versehen, die wahrscheinlich einer Art Zifferblatt für die Anzeige der Mondphasen und – noch erstaunlicher – der Zeiten von Aufgang und Untergang des Mondes entsprachen.
Für einen weiteren Fortschritt sorgten muslimische Uhrmacher des 12. Jahrhunderts. Der Ingenieur alDschazari soll eine Wasseruhr mit einem Mondring mit 28 gleich großen Löchern für die Mondphasen konstruiert haben. Der Zeitmesser funktionierte allerdings nicht autonom; der Mondring musste von Hand gedreht werden, damit er die richtige Phase anzeigte. Kurioserweise brannte hinter der Scheibe nachts eine Lampe, so dass die Anzeige dem echten Mond am Himmel entsprach.
Ein weiterer Vorläufer der Mondphasenuhren war das Astrolabium, das Muhammad ibn Abi Bakr al-Ibari 1221 in Isfahan gebaut hatte, ein komplexes Räderspiel, das mit der Kombination von Rädern und Trieben in mancher Beziehung modernen Konstruktionen ähnelt. Es zeigt nicht nur die Mondphase und das Mondalter an, sondern auch die jeweiligen Positionen von Sonne und Mond. Dieses Getriebesystem und seine Anzeigescheiben wurden zum Vorbild, das jahrhundertelang für Pendülen und andere Uhren überlebte. Doch davon später. Bemerkenswert ist vor allem, dass al-Ibari auf der Rückseite der Uhr eine Öffnung anbrachte, hinter der eine große Scheibe rotierte, auf der er zwei kleinere schwarze, sich gegenüberliegende Scheiben montiert hatte. Je nach Rotation der großen Scheibe hinter dem Fenster nahm die Mondphase zu oder ab. Deckte die eine schwarze Scheibe das Fenster vollständig ab, war Neu-mond. Bei Vollmond war im Fenster nur die helle Fläche der großen Scheibe zu sehen. Diese Beschreibung dürfte Uhrenliebhabern vertraut sein, sind doch vergleichbare rotierende S cheiben das klassische Darstellungsmittel der Mondphasenanzeige in modernen Taschenuhren geworden, auch in denjenigen von Blancpain.
Selbstverständlich wurde die Anordnung von al-Ibari zum Standard für Mondphasenanzeigen in Standund Tischuhren, bevor sie in der Taschenuhr Einzug hielt. Bemerkenswerterweise waren jedoch schon die frühesten Taschenuhren damit ausgestattet. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese anfänglichen Konstruktionen tragbarer Zeitmesser vor der Erfindung der Unruh entwickelt wurden. Da jene Uhren deshalb über keine präzise Vorrichtung für die gleichmäßige Kraftabgabe der Triebfeder und damit für die Regulierung der Ganggenauigkeit verfügten, waren sie entsprechend ungenau. Dessen ungeachtet betrachtete man eine Mondphasenanzeige als wichtig, und sie war deshalb keineswegs selten. Im Jahr 1675 stellte der holländische Mathematiker Christiaan Huygens das Prinzip der Unruh vor, das die Entwicklung wirkungsvoller Hemmungssysteme für eine exakte Zeitmessung ermöglichte. Seither gehört die Mondphase neben anderen Komplikationen zu den ebenso interessanten wie attraktiven und nützlichen Zusatzfunktionen edler mechanischer Zeitmesser.
Jahrhunderte später sollte die Mondphasenanzeige eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Uhrenbranche spielen. Von Anfang der 1970er Jahre an durchlebte die gesamte Schweizer Uhrenbranche eine schwere Krise. Der weltweite Endverbrauchermarkt wurde mit billigen und gleichzeitig – man muss es anerkennen – höchst exakten Quarzuhren überschwemmt. Die Schweizer Hersteller mechanischer Uhren reagierten anfänglich darauf, indem sie das Niveau herunterschraubten, um durch den Verzicht auf Zusatzfunktionen wieder wettbewerbsfähig mit der Quarzuhr zu werden. Doch obwohl ihre mechanischen Zeitmesser ohne diese Komplikationen günstiger wurden, konnten die Anbieter mechanischer Schweizer Uhren dieses Spiel nie gewinnen. Was man auch immer tat, die Quarzuhr würde stets billiger (und präziser) sein. So verschwanden nach und nach zahlreiche Schweizer Uhrenfabrikanten oder versuchten durch Fusionen zu überleben.
Die Renaissance der Marke Blancpain gegen Ende der Krise zu Anfang der 1980er Jahre beruhte auf einer anderen Überlegung. Statt im Billigsegment mit Quarzuhren zu wetteifern, wollte die Manufaktur beweisen, dass ein edler mechanischer Zeitmesser etwas ganz anderes ist, nämlich ein Stück mechanische Kunst, das von großartigem handwerklichem Können und Jahrhunderten der Uhrmachertradition zeugt. Hätte es einen besseren Weg gegeben, als diese Aussage mit einer Uhr zu untermauern, die zusätzlich den Mond anzeigt? Deshalb brachte Blancpain am neuen Standort im Vallée de Joux 1983 ihre erste Mondphasenuhr heraus. Die romantische Anzeige mit dem Mondgesicht erinnerte an die reiche Geschichte der damit ausgestatteten Pendülen, Taschen- sowie ersten Armbanduhren. Und sie machte die Marke nicht nur berühmt, sondern lehrte die anderen Uhrenhäuser, was sie tun mussten, um der Quarzuhr zu trotzen. Die Mondphase wurde damit zum Erfolgsrezept, mit dem die Hersteller mechanischer Uhren demonstrieren konnten, dass eine mechanische Uhr der Spitzenklasse überhaupt nicht mit einem Quarzticker gleichzusetzen ist. Und darüber hinaus bewies Blancpain, dass keine Quarzuhr je ein ebenbürtiger Ersatz für einen feinen, von Hand gefertigten und geschmückten Zeitmesser sein kann.
Seit diesem ausschlaggebenden Start anno 1983 ist die Komplikation der Mondphase zu einem Symbol oder Markenzeichen von Blancpain geworden. Die Vorliebe für den Zyklus des Nachtgestirns bewog die Manufaktur, die Mondphase in mehr Zeitmessern abzuwandeln als jede andere Marke. Und selbstverständlich blieb der Stil des ersten Modells, mit einem Mondphasenfenster bei 6 Uhr, dem Monat und Wochentag in kleineren Fensterchen unter 12 Uhr sowie dem Datum mit einem zusätzlichen Zeiger aus der Mitte, ohne Unterbruch ein Fixpunkt in den Kollektionen von Blancpain.
In der Weiterentwicklung dieser für Blancpain emblematischen und inzwischen ikonischen Anzeige gab es viele Meilensteine:
- Steigerung der Gangreserve von 40 auf 48 Stunden;
- Einführung eines Modells mit 100 Stunden Gangreserve, eine sehr gefragte limitierte Serie mit DemiSavonnette-Gehäuse inbegriffen;
- die seltene und höchst gesuchte Jubiläumsausgabe Phase de Lune Anniversaire von 2003 mit ihrer Schwingmasse, die ein handgraviertes „Mann im Mond“-Gesicht im Profil zeigt;
- die erste Armbanduhr der Welt mit Korrektoren unter den Bandanstößen für das Verstellen sämtlicher Anzeigen ohne Instrument, nur mit der Fingerspitze, was Korrekturdrücker und -nuten auf den Gehäuseflanken überflüssig machte;
- Einführung der Mondphase in der Kollektion Blancpain Women;
- bei der Einführung der Kollektion L-evolution die erste Uhr mit vollständigem Kalender und Mondphase sowie 8 Tagen Gangreserve und einem gesicherten Kalendermechanismus, der nicht beschädigt werden kann, wenn der Träger seine Uhr während des Anzeigenwechsels richtet;
- die erste Taucheruhr mit vollständigem Kalender und Mondphasenanzeige in der Kollektion Fifty Fathoms;
- das aktuelle Villeret-Modell mit allen drei letztgenannten Innovationen: 8 Tage Gangreserve, Korrektoren unter den Bandanstößen und gesichertem Kalender/Mondphasen-Mechanismus.
Das Uhrwerk erfuhr in dieser über drei Jahrzehnte dauernden Weiterentwicklung zahlreiche zusätzliche technische Verbesserungen. Die Unruh verfügt jetzt über ein variables Trägheitsmoment, goldene Regulierschrauben und eine Siliziumspiralfeder für bessere Ganggleichmäßigkeit und Schutz vor Magnetfeldern. Die Modelle mit 8 Tagen Gangreserve sind mit drei Federhäusern ausgestattet.
Der Fortschritt der Modelle mit der inzwischen klassischen Anzeige des vollständigen Kalenders mit Mondphase ist enorm, doch dies gilt auch für das Erscheinungsbild der Mondphase in Verbindung mit anderen Komplikationen. In den aktuellen Kollektionen bietet Blancpain die Mondphase mit verschiedenen ewigen Kalendern an. In der Kollektion Villeret sind dies die Modelle Quantième Perpétuel 8 Jours und Quantième Perpétuel, in der Kollektion Le Brassus die Uhr Quantième Perpétuel Chronographe Flyback à Rattrapante.
Zwei weitere komplizierte Modelle mit Kalender und Mondphase verdienen besondere Beachtung. Beide sind Weltpremieren, die es in dieser Kombination weiterhin nur bei Blancpain gibt. Das erste ist die Villeret Équation du Temps Marchante. Sie verfügt nicht nur über einen ewigen Kalender mit Mondphase, sondern ist auch die erste Armbanduhr der Geschichte, die mit einer wandernden Zeitgleichung (équation du temps marchante) ausgestattet ist. Die Mondphase dieses Zeitmessers ist insofern unüblich in den Blancpain-Kollektionen, als die Mondphasen nicht mit der klassischen, in einem Fenster rotierenden Mondscheibe angezeigt werden, sondern durch einen retrograden Zeiger, der auf einem Kreissegment bei 11 Uhr auf Scheiben mit dem Vollmond, Neumond und den Viertelmonden verweist. Diese Uhr war nicht nur bei ihrem Erscheinen 2004 eine Weltpremiere, sondern ist nach wie vor die einzige Armbanduhr, die diese beiden Komplikationen kombiniert.
Die zweite ausschließlich von Blancpain angebotene Komplikationsuhr ist die Villeret Calendrier Chinois Traditionnel, bei ihrer Einführung 2012 eine Weltpremiere wie die Équation du Temps Marchante. Das äußerst komplizierte Uhrwerk verbindet Angaben des traditionellen chinesischen Kalenders mit jenen der heute universell gültigen westlichen Zeit- und Kalenderangaben. Die chinesischen Anzeigen umfassen den Tierkreis im Jahres- und Zwölfjahreszyklus, die Mondmonate und Zwischenmonate, die Yin/ Yang-Himmelsstämme und die chinesischen Doppelstunden. Drei Zeiger aus der Mitte geben die Stunde, die Minute und das Datum gemäß dem westlichen gregorianischen Kalender an. Eingestellt werden all diese Anzeigen über vier Korrektoren unter den Bandanstößen und einen fünften auf dem Gehäuseboden. Insgesamt übertrifft diese Uhr einen ewigen Kalender bei weitem an Komplexität.
Ein dritter exklusiv von Blancpain gefertigter Zeitmesser ist das Carrousel Volant Une Minute. Der Karussellmechanismus wurde ursprünglich vom dänischen Uhrmacher Bahne Bonniksen als Alternative zum Tourbillon für die Kompensation der schwerkraftbedingten Gangabweichungen der Taschenuhr in vertikaler Position entwickelt. Uhren mit seinem Oben links: Villeret Carrousel Phases de Lune. Oben rechts: Die legendäre 1735. Rechts: Villeret Calendrier Chinois Traditionnel. Karussell waren bei der Einführung höchst erfolgreich und übertrafen bei Genauigkeitswettbewerben die damaligen Tourbillonmodelle. Das Know-how für diese Konstruktion ging jedoch verloren, bis es 2008 von Blancpain wiederbelebt wurde. Die Villeret Carrousel Phases de Lune mit Datum ist die einzige Mondphasenuhr der Welt, die mit einem Karussell bestückt ist.
Bleibt eine letzte wichtige Blancpain-Mondphasenuhr zu erwähnen: die 1735. Diese auf 30 Stück limitierte Serie ist zwar längst ausverkauft, war aber bei ihrer Premiere die komplizierteste automatische Armbanduhr der Welt. In ihrem Platingehäuse sind die Komplikationen ewiger Kalender mit Mondphase, Minutenrepetition, Schleppzeigerchronograph und Tourbillon vereinigt.
Die Breite und Tiefe dieser MondphasenuhrenPalette von Blancpain ist unübertroffen. Und auch angesichts der entscheidenden Rolle, welche die Mondphase bei der Wiederbelebung der Marke Blancpain und der mechanischen Schweizer Uhr generell spielte, ist es nur natürlich, dass diese faszinierende und schöne Komplikation in den Kollektionen von Blancpain einen zentralen Platz einnimmt.