Kapitel 5
Neue Dimensionen von Frische, Reinheit und vor allem Tiefe des Geschmacks in Reims.
Revolution ist ein mit vielen Schrecken und Emotionen beladenes Wort. Es erinnert an Robespierre, die Bolschewiken, an Che und viele andere. Damit verbunden sind Bilder von Brutalität, Kompromisslosigkeit und Zerstörung. Doch gibt es nicht auch sanfte Revolutionen? Tolerante Revolutionen, welche die Vergangenheit ehren, respektieren und gleichzeitig neue Ideen entwickeln, die mit der Geschichte und den Traditionen eine harmonische Koexistenz eingehen können? Seien Sie offen für das Neue und Unbekannte. Bereichern Sie die Liste Ihres inneren Wörterbuchs durch diese tröstlichen Begriffe. Das wird Ihnen erlauben, die gegenwärtige Revolution in der Champagne in den Bereichen Wein und Küche zu verstehen. Im Zentrum des Geschehens: „L’Assiette Champenoise“, das berühmteste Restaurant der Region.
Der Champagner wurde der Legende nach vom Benediktinermönch Dom Pierre Pérignon (1638–1715) erfunden. Er schuf zwar die Voraussetzungen für zahlreiche Neuerungen der Weinbereitung, zu seiner Zeit waren jedoch Stillweine die Norm, nicht Schäumer. In Wirklichkeit war Dom Pérignon weit davon entfernt, sich der Produktion moussierender Weine zu widmen. Er suchte in erster Linie nach Möglichkeiten, um dieses Schäumen zu verhindern. Die Entwicklung der berühmten Champagnermethode fand erst rund hundertfünfzig Jahre nach seinem Tod statt, Mitte des 19. Jahrhunderts. Ungeachtet der Geschichtsverfälschung, die das Gewerbe mit großem Eifer betreibt, katapultierte die Verwandlung von stillen in perlende Weine den Champagner in die vorderste Reihe und machte aus ihm ein Symbol für Festlichkeit und Luxus. Mit der Champagnisierung entstanden die großen Häuser wie Moët & Chandon, Veuve Clicquot, Taittinger, Laurent Perrier, Roederer, Bollinger, Krug, Pol Roger, Deutz oder Piper-Heidsieck. Die Liste ist lang, die Namen sind weltweit bekannt.
Der Aufstieg und die Dominanz dieser erfolgreichen Unternehmen hatten einen gewissen Konservatismus zur Folge, da jede Marke ihren eigenen Stil bewahrte. Die Hand in Hand mit den großen Häusern arbeitenden Küchenchefs der Region folgten deren Vorbild und waren ebensowenig zu womöglich revolutionären Neuerungen bereit.
Ohne zunächst großes Aufsehen zu erregen, begann vor ungefähr zehn Jahren das Geschäft kleiner Produzenten zu florieren. Handwerklich erzeugte Champagner von selbstkelternden Weinbauern tauchten auf, Spezialitäten, wie sie die renommierten Marken mit ihren enormen Produktionen nicht herstellen konnten oder dies mit Rücksicht auf ihre Traditionen nicht wagten. Kühne Vinifizierungstechniken eröffneten dem Champagner neue Dimensionen. Die namhaften Häuser bieten ihren treuen Anhängern selbstverständlich nach wie vor herrliche Cuvées an, doch die Kenner sprechen nun auch von der Klassifizierung der Weinberge und ihrer Einstufung als Grands Crus oder Premiers Crus, von besonderen Dörfern der Champagne und nicht zuletzt vom individuellen Stil der Winzer. In den Werbetexten der großen Marken findet sich keiner dieser Begriffe. Das ist eine Revolution, die behutsam stattfand, Seite an Seite mit der Tradition.
Die Arbeit von Arnaud Lallement in seinem Restaurant L’Assiette Champenoise spiegelt das Ausmaß der gegenwärtigen Entwicklungen in der Champagnerproduktion wider. Statt sich aus Treue und Inflexibilität dem Adel der traditionellen Küche der Champagne zu verpflichten, verleiht er der Küche in Reims und der benachbarten Stadt Épernay neuartige Noten von Frische und Reinheit sowie vor allem eine bemerkenswerte Tiefe des Geschmacks. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass er die Region Champagne kulinarisch auf den Kopf gestellt hat, selbstverständlich sanft und mit Respekt. Noch vor nur einem Jahrzehnt hatte man in den guten Restaurants von Reims oder Épernay den Eindruck, die Gerichte seien unter dem Gesichtspunkt konzipiert worden, keinesfalls den dazu servierten Champagner zu übertreffen. Wer würde es wagen, ein Glas Krug auszustechen? Der Umfang des heutigen Angebots – die Weinkarte von „L’Assiette Champenoise“ bietet die beeindruckende Auswahl von 1054 unterschiedlichen Champagnern – reicht von herben Extra bruts über Cuvées aus sehr kleinen Produktionen, die ihre Terroirs perfekt repräsentieren, bis zu tief dunkelroten Cuvées aus Blauburgundertrauben (Pinot noir). Sie eröffnen Arnaud Lallement eine breite Palette von Möglichkeiten für die Kreation hocharomatischer Gerichte. Jetzt ist es die Speise, die befiehlt, und der Champagner setzt den Kontrapunkt dazu.
Ist ihm das gelungen? Das einhellige Lob bestätigt dies, wie die 3 Michelin-Sterne und 19,5 Punkte von Gault&Millau beweisen. Zwar hatte dieser Führer vor einigen Jahren erklärt, auf seiner 20-Punkte-Skala könne er nicht mehr als 19 Punkte verleihen, das sei die Höchstgrenze. Aber offensichtlich gibt’s auch da Ausnahmen. „L’Assiette Champenoise“ ist zurzeit eines der drei Restaurants in Frankreich, die mit 19,5 Punkten benotet sind.
Zutaten
HUMMER
2 Blaue Hummer zu je 500 bis 600 g
HUMMERBUTTER
500 g Hummerschalen
5 g Paprika
100 g Butter
PAPRIKA-KARTOFFELSCHAUM
250 g Kartoffeln
7 g Olivenöl
7 g edelsüßer, geräucherter Paprika
25 cl Wasser
10 cl Milch
200 g Crème fraîche
10 g Salz
HUMMERSAUCE
500 g Hummerköpfe
10 g Olivenöl
15 g Paprika
50 g Honig
100 g Schalotten
37.5 cl Süßwein (Typ Sauternes)
500 g Crème fraîche
KARTOFFELRONDELLEN
200 g Kartoffeln
10 cl Hummersauce
SOUFFLÉ-KARTOFFELN
6 Bintje-Kartoffeln
Sonnenblumenöl zum Frittieren
CHAMPAGNERESSIG-REDUKTION
10 cl Champagneressig
Pro Teller 3 Kapuzinerkresse-Blätter
Salbei, feingeschnitten
Zubereitung
Die Hummer roh in Scheren, Schwänze und Köpfe zerteilen. Die Scheren 6 Min. und die Körper 2 Min. lang blanchieren. Das Fleisch aus dem Panzer lösen und beiseite stellen. Kurz vor dem Servieren in der Hummerbutter erhitzen. Die Extremitäten zerschneiden und für das Anrichten beiseite stellen.
Die Hummerschalen mit dem Paprika andünsten. Die Butter darübergeben. Während 1 Std. sanft köcheln. Absieben. Dann die Butter aufschäumen und die Unreinheiten entfernen. Zur Seite stellen.
Die Kartoffeln schälen und in Stücke schneiden. In Olivenöl andünsten. Den Paprika beifügen und mit Wasser bedecken. Kochen, bis das Wasser fast verdampft ist. Milch, Crème fraîche und Salz dazugeben. Die Kartoffeln weichkochen. Mixen und durch ein Haarsieb streichen. In einen Sahnebläser mit Patrone füllen.
Die Schalotten häuten und kleinschneiden. Die Hummerköpfe in Olivenöl dünsten. Paprika, Honig und Schalotten beifügen. Mit dem Süßwein ablöschen. Auf die Hälfte einkochen. Mit Wasser aufgießen und während 1 Std. sanft köcheln lassen. Die Crème fraîche darunterziehen. Durchs Haarsieb gießen und abschmecken.
Die Kartoffeln schälen, eine davon beiseitestellen. Die andern in dreißig Rondellen von 6 cm Durchmesser schneiden. Während 1 Min. blanchieren. Mit Hummersauce glacieren.
Die Kartoffeln in Scheiben von 3 mm Stärke schneiden und auf Ovale von 6 auf 4 cm zuschneiden. Während 5 Min. in Sonnenblumenöl bei 135 °C unter ständigem Übergießen garen und anschließend während 1 Min. bei 180 °C frittieren. Salzen.
Den Essig erhitzen und zu sirupartiger Konsistenz einkochen.
Die Blätter in drei Rondellen von 2, 3 und 4 cm schneiden.
Anrichten
Auf der linken Tellerseite drei Kartoffelrondellen in die Hummersauce setzen. Mit etwas gehacktem Hummer, Paprika-Kartoffelschaum und feingeschnittenem Salbei garnieren. Jede Scheibe mit einer zweiten Rondelle bedecken, damit drei „Ravioli“ entstehen. Auf der rechten Seite des Tellers mit der Champagneressig-Reduktion einen Strich ziehen. Den halben Hummerschwanz daraufsetzen. Mit drei Kapuzinerkresse-Rondellen und drei Pommes soufflées dekorieren. Die Hummersauce separat dazu servieren.
Man hat übrigens den Eindruck, für alle Restaurants und Gastrokritiker seien die Adjektive „frisch“ und „rein“ ein absolutes Muss, um die Gerichte zu beschreiben. Doch wer wünscht sich denn schon „verdorbene“ und „unsaubere“ Speisen? Sind diese Begriffe inzwischen dermaßen sinnentleert geworden, dass sie nichts mehr bedeuten? Die Notizen, die ich mir bei meinen beiden Essen im „L’Assiette Champenoise“ gemacht habe, beweisen offensichtlich das Gegenteil. Tatsächlich tauchen sie bei meinen Eindrücken zu den Tellern mehrmals auf, Gang für Gang, groß und in Majuskeln geschrieben. Da brauchte es kein Nachdenken und keine Nachforschungen. Ich wusste jeweils sofort, was ich schreiben sollte, ganz einfach als starke, fast instinktive Reaktion auf das, was auf dem Teller lag.
Die Zubereitung der Tomaten, die Arnaud Lallement mit Tomate D. Vecten/Eau de tomates bezeichnet, ist dafür ein beeindruckendes Beispiel. Wir alle können uns mit Vergnügen eine Portion reifer Sommertomaten schmecken lassen. Doch Arnaud Lallement steigert das Niveau mit perfekten Kirschtomaten, die gehäutet und mit Tomatenconcassée gefüllt sind. Und zwar mit einer unvergleichlichen Concassée von sensationeller Geschmacksintensität. Es kommt einem vor, als habe er einen 1000-Watt-Verstärker benutzt, um das Tomatenfleisch hochgradig zu konzentrieren. Sein Geheimnis, um den ultimativen Ausdruck des Extrakts einer perfekten Tomate zu erreichen, beruht im besonders langen Garen bei niedriger Temperatur. Die Kirschtomate wird von einem feuerroten Tomatengazpacho eingerahmt, für den knusprigen Kontrapunkt sorgen kleine, in Olivenöl frittierte Pommes soufflées. Das dazu servierte Glas mit hellgelbem Tomatensaft unterstreicht, dass es sich um eine außergewöhnliche Kreation handelt. Die Farbe ist eigentlich eine Verkleidung, denn der Saft verströmt Frische und Reinheit (wieder diese Begriffe) sowie eine geradezu bombastische Intensität, genauso wie die Füllung der Kirschtomate. Noch bemerkenswerter ist, dass der Küchenchef vollständig auf das chemische Prozedere verzichtet, das die Gastronomie als Molekularküche bezeichnet. Kurz gesagt, er beweist, was traditionelle Kochkunst zu leisten vermag, wenn ein Gericht so konzipiert ist, dass es die Essenz seines wichtigsten Inhaltsstoffs ohne Umschweife zum Ausdruck bringt. Wer benötigt da eine Zentrifuge?
Arnaud Lallement hat sein Leben der Küche geweiht, genauso wie sein Vater Jean-Pierre, der 1975 zusammen mit seiner Frau Colette das Restaurant L’Assiette Champenoise in Châlons-sur-Vesle eröffnete, zehn Kilometer vom heutigen Standort in Tinqueux bei Reims entfernt. In Châlons, wo sein Vater bereits 1976, zwei Jahre nach Arnauds Geburt, einen MichelinStern erkocht hatte, stand Arnaud mit 17 Jahren am Herd, bevor er das Lycée hôtelier in Straßburg absolvierte und dann sein Können insgesamt sieben Jahre bei den Drei-Sterne-Köchen Roger Vergé, Michel Guérard und Alain Chapel verfeinerte. 1996 stieß Arnaud wieder zu seinen Eltern, die ihr Etablissement inzwischen 1986 neu in Tinqueux als Hotelrestaurant eröffnet hatten. Hier erhielt Arnaud 2001 den ersten Michelin-Stern. Nach dem plötzlichen Tod Jean-Pierres 2002 mit nur 50 Jahren übernahm er die Leitung der Küche, und das Restaurant stieg in der MichelinBewertung auf: 2005 erhielt es den zweiten und 2014 den dritten Stern.
Arnaud bezeichnet seine Küche als „zeitgemäß“ und „rein“ (wiederum dieses Wort) und präzisiert ausdrücklich, sie sei nicht modern. Folglich gibt es weder Vakuumgaren noch molekulare Transformationen. Um die angestrebte Reinheit zu erreichen, konzipiert er Zubereitungen mit höchstens zwei dominierenden Zutaten, meist ist es eine einzige. Das heißt nicht, dass seine Gerichte einfach sind. Beim Blättern in seinem Kochbuch wird einem bewusst, wie unerhört komplex sie sind. Sie wirken nur nicht so. Unwillkürlich kommt einem der berühmte Spruch von Winston Churchill in den Sinn: „Aus großer Komplexität entsteht große Einfachheit.“
Die enzyklopädische Champagnerkarte mit 1054 Positionen ist zwar übersichtlich angeordnet und wird für die Gäste von Empfehlungen der Sommeliers auf iPads ergänzt. Am besten lernt man die Küche und die Weine jedoch kennen, wenn man das Degustationsmenü bestellt, bei dem jeder Gang von einem anderen Champagner begleitet wird. Einerseits passt jedes Glas perfekt zu den jeweiligen Gerichten, und andererseits deckt diese „Reise“ die Vielfalt der aktuellen Weinbereitung in der Champagne ab: kleine handwerklich arbeitende Produzenten, bescheidene Produktion von Stillweinen, Champagner der großen Häuser, darunter Prestige-Cuvées, Rosés mit unterschiedlichem Stil. Interessant ist, dass die großen Champagner nicht bloß prickeln, sondern wie die prestigereichen Burgunder oder Bordeaux in ihrem Kern aus feinen Weinen mit all ihren Nuancen, Tiefen und Vielschichtigkeiten bestehen. In den schmalen Kelchen (flûtes), aus denen man die Schäumer außerhalb der Region üblicherweise trinkt, kommt der Champagner nicht vollständig zum Ausdruck. „L’Assiette Champenoise“ erteilt uns eine Lektion, die man sich merken sollte: Hier wird der Champagner in Rotweingläsern serviert, in denen sich die Aromen und Düfte entfalten können.
Wenn es das Wetter erlaubt, beginnt das Mahl mit einem Aperitif auf der angenehmen, am Rand eines ruhigen Gartens gelegenen Terrasse. Man fühlt sich hier wohl, vor allem, wenn man das Degustationsmenü mit den dazu passenden Weinen bestellt. Damit ist man von der Bürde des Auswählens und Kartenlesens befreit und kann das sanfte Lüftchen genießen, das vom Garten her weht. Zum Auftakt des Mahls wird das Glas Champagner selbstverständlich stets von einer Armada von Amuse-bouches begleitet (neulich gab’s ein köstliches Gebäck mit einer Mousse aus roter Paprikaschote, ein sublimes, mit Puffreis und Agrumen dekoriertes Petersilienküchlein, salzig-süßen Räucherlachs und extrem leichte, aber sehr aromatische Parmesan-Croustillants).
Nach der Ouvertüre im Garten geht’s in den Speisesaal, wo der raffinierte moderne Dekor mit einem herrlichen Jugendstil-Kronleuchter kombiniert wird. Hier beginnt Arnaud Lallement immer mit einer Anspielung auf die regionale Tradition: der Potée champenoise. Das ist ein delikates, mit Senfkörnern gewürztes Confit vom Schwein mit einem knusprigen Teigkreis und knackigem Gemüse – Radieschen, Blumenkohl, weiße Rübe und Karotte –, das Ganze schwimmt auf einer geschmacklich authentischen Gemüsebouillon. Damit wird die lokale Bauernküche aufs Drei-Sterne-Niveau gehoben.
Im Gegensatz zu vielen Gastrotempeln, bei denen die Gemüse nur Beilagen sind, widmet ihnen Arnaud Lallement ganze Gänge. Sein überragendes Tomatengericht ist dafür ein perfektes Beispiel. Das gilt auch für seine Courgette B. Deloffre/Épices et Petits pois/ Herbe à curry. Die Zucchetti in Miniaturformat werden al dente serviert, mit einer kräftig schmeckenden Sauce und viel Petersilie. Das Erbsengericht, ein Chaud-froid-Rezept, besteht aus einem hervorragenden Grünerbsensorbet und einer lauwarmen Erbsensauce mit einem Hauch Curry. Für den Texturgegensatz sorgen einige Puffreiskörner. Diese Kreation ist eine Essenz der Grünerbse „im Quadrat“: tief, frisch und konzentriert.
Zwei Krustentiervariationen zeugen von seiner ultrapräzisen Kochkunst. Legendär ist der Homard bleu/ Hommage à mon papa, die Aktualisierung eines Gerichts, das sein Vater 1978 kreiert hatte. Ein riesiger Hummerschwanz wird perfekt glasig gekocht und neben einen Kartoffelraviolo gesetzt, der mit Scherenfleisch-Stückchen garniert ist. Die Komposition wird mit einer Sauce aus Hummerbouillon und Sauternes nappiert. Für Hummerliebhaber ist es ein ideales Gericht. Die Langoustine royale rôtie mit ihrem gewaltigen, einfach gebratenen Körper wiederum wird auf einem Teller neben einem großzügigen Löffel einer Substanz serviert, die man auf den ersten Blick für eine simple Mayonnaise hält. Doch das täuscht. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine konzentrierte, aromatische Langustinenessenz mit Olivenöl, die mit Grapefruit abgeschmeckt ist. Die Tiefe des Geschmacks ist beeindruckend.
Kaviar ist ein natürliches Gegenstück zu Champagner. Arnaud Lallement bietet dafür selbstverständlich eine einzigartige Interpretation. Er bricht die Regel, laut der Kaviar eine Mahlzeit eröffnet, indem er seinen Caviar Kaviari/Haddock/Pommes de terre in der Mitte seines Degustationsmenüs serviert. Als Begleitung des Kaviars wählt er ein bemerkenswertes Duo: einen knapp erwärmten, geräucherten Haddock und eine Wolke von heißem Kartoffelstock. Beide bleiben im Hintergrund, um dem Kaviar, wie es sich gehört, die Starrolle zu überlassen.
Der Saint-Pierre de Petit Bateau/Ponzu crémeux ist ein überraschender Fischgang. Das Fleisch des Petersfischs ist so fein, dass es nach einer würzigen Ergänzung ruft. Die exotische, tiefe, reichhaltige Ponzusauce mit Rauchgeschmack ist schlicht perfekt. Gebratene Auberginen mit mexikanischem Estragon und eine Misopaste aus Soja und Wassermelone vervollständigen das Gericht. Die Melone liefert die geniale Note, die in Wechselwirkung zu den Räucherakzenten und zur Reichhaltigkeit tritt.
Eine weitere Hommage an Jean-Pierre Lallement, Pigeonneau fermier/En tourte/Caillette, gehört zu den Standardgerichten des Restaurants. Es ist das letzte Rezept, das Arnaud und sein Vater gemeinsam geschaffen haben. Kreationen im Teig sind meist eine Enttäuschung, weil die Kruste nur allzu oft die Aufmerksamkeit vom Inhalt ablenken soll. Hier haben Sie nichts zu befürchten. Der Teig von Arnaud Lallement ist fein, leicht, köstlich und bleibt zudem bis zum Schluss knusprig. Kurz: Er bringt Struktur in die Schichten von saignant gegarter Taube, Foie gras und Mangold im Innern. Ebenso wunderbar wie die Teighülle ist der dazu servierte verblüffende Jus mit seiner überragenden Konzentration und Intensität. Ich bin übrigens überzeugt, dass mehr Taube in der Sauce als in der Tourte verarbeitet wurde.
Ris de veau/Crème de persil ist eine der bekanntesten Spezialitäten des Restaurants. Ein majestätisches Kalbsbries mit einem bronzefarben karamellisierten Äußern und einem wolkenförmigen Innern wird mit seinem mit Petersilie aufgepeppten Jus serviert. Im Einklang mit dem Adel dieses Brieses empfiehlt der Sommelier ein Glas Krug.
Im „L’Assiette Champenoise“ ist der Dessert eine Miniaturausgabe des Degustationsmenüs. Die Platten überquellen von knusprigen und leichten Cannelés bordelais, Fruchtgelees und Schokoküchlein. Daraufhin folgt das Kernstück, das hervorragende Amande/Miel. Die Beschreibung wird dem Genie und der Raffinesse dieser Nachspeise allerdings nicht gerecht. Es ist eine Yin-Yang-Komposition mit einem knusprigen Honigkuchen, der für die Textur und den beeindruckenden Kontrast zur Mandelglace, zum Honig und zu einer tiefen, intensiven Cherrysauce sorgt.
Die bedauerliche Angewohnheit von Sportlern, Champagner auf ihr Team oder andere Mannschaftskameraden an ihrer Seite zu spritzen, geht auf den amerikanischen Rennfahrer Dan Gurney zurück. Er feierte auf diese Weise die drei ersten Plätze, die Ford 1966 in Le Mans einheimste, doch dieser Brauch tut dem mythischen Image des Champagners keinen guten Dienst. Dagegen wirkt „L’Assiette Champenoise“ wie ein höchst effizienter Fähnrich und Botschafter dessen, was Champagner verkörpern müsste: Exzellenz, Raffinesse und Perfektion. Mehr noch, Arnaud Lallements Restaurant ist ein Must für alle, die eine feine Küche und ebensolche Weine lieben.