Kapitel 10
Drei Merkmale der Blancpain-Uhrwerke, die die Chronometrie und Leistung verbessern.
Einer der berühmtesten und inspirierendsten Filme des Jahres 2016 war Hidden Figures. Der deutsch mit dem Titel Unerkannte Heldinnen erschienene Film erzählt die Geschichte dreier schwarzer Frauen, die in den frühen 1960er Jahren von der Öffentlichkeit abgeschirmt bei der NASA arbeiteten. Während die Astronauten mit Beifall überschüttet wurden, führten Katherine Johnson, Dorothy Vaughn und Mary Jackson im Hintergrund die manuellen Berechnungen durch, die die frühen Raumflüge möglich machten. Sogar nach der Einführung von IBM-Computern zur Berechnung der Flugbahnen weigerte sich John Glenn, an Bord der Rakete zu gehen, bevor diese Frauen die Zahlen nicht von Hand überprüft hatten. Wirklich verborgene Figuren.
Eine gewisse Analogie lässt sich bei den Komponenten erkennen, die Blancpain in den Uhrwerken verbaut hat, um ihre Leistung, Robustheit und Langlebigkeit zu verbessern. Während neue Modelle und Komplikationen im Rampenlicht stehen, tragen solche Teile im Verborgenen dazu bei, den Besitzern einen Mehrwert zu bieten. In diesem Kapitel stellen wir drei dieser verborgenen Komponenten vor: die freischwingende Unruh mit variabler Trägheitsregulierung, die Siliziumspiralfeder und die Uhrwerke mit mehreren Federhäusern.
FREISCHWINGENDE UNRUH UND TRÄGHEITSREGULIERUNG
Nichts liegt dem Herzstück der Zeitmessung einer Uhr näher als die Unruh und ihre Spiralfeder, spielen ihre Eigenschaften doch eine entscheidende Rolle für die Ganggeschwindigkeit und -regelmäßig- keit. Deshalb konzentrieren sich die Systeme für das Regulieren einer mechanischen Uhr auf diese beiden Komponenten. Heute gibt es zwei Hauptverfahren für das Feinstellen. Das gebräuchlichste ist der Rücker oder Rückerzeiger, ein Stahlteil mit zwei Armen. Der kürzere Arm trägt die Rückerstifte, zwischen denen die Spiralfeder hindurchführt, der längere ist der eigentliche Zeiger, dessen Spitze auf einer Skala verschoben werden kann. Je nachdem, ob man diesen Arm vor- oder rückwärts verstellt, wird die effektive Länge der Spiralfeder verkürzt oder verlängert, bis die gewünschte Ganggeschwindigkeit und -genauigkeit erreicht ist. Wenn der Uhrmacher auf den kleinen Rückerarm drückt, hebt er damit den Zeigerarm leicht an und kann ihn so für das Feinstellen verschieben.1 Die zweite Hauptmethode konzentriert sich auf die Unruh und wird als „Trägheitsregulierung“ bezeichnet. Bei der Trägheitsregulierung ist die Länge der Spiralfeder festgelegt und die Feder beidseitig fixiert (die Uhrmacher sprechen von einer „freien Unruhspirale“).
1 Uhren werden normalerweise in fünf Positionen eingestellt:
einer horizontalen und vier verschiedenen vertikalen Positionen. Obwohl Uhrenbesitzer normalerweise an die Abweichungen in Sekunden pro Tag denken (+/- 0 pro Tag ist ideal), da ihre Zeitmesser den ganzen Tag über getragen werden und ihre Position durch die Bewegungen des Handgelenks ständig ändern, examiniert man bei der Gangregulierung die Veränderungen in jeder Position, den Durchschnitt aller Positionen und die größte Abweichung zwischen den Positionen.
Für die Feinregulierung der Ganggenauigkeit ist hier der Unruhreif mit meist vier schweren Schrauben bestückt, die man verstellen kann. Schraubt man die Schrauben heraus, erhöht sich das Trägheitsmoment der Unruh, wodurch die Drehung verlangsamt wird. Schraubt man sie hinein, verringert sich das Trägheitsmoment, und die Unruh schwingt schneller. Die Wirkung auf die Drehgeschwindigkeit kann mit einer Schlittschuhläuferin verglichen werden, die sich zunächst mit ausgestreckten Armen dreht und dann die Arme anzieht, um sich immer schneller zu drehen.
Die Trägheitsregulierung ist dem Rückersystem in mehrfacher Hinsicht überlegen, weshalb Blancpain sie für alle Uhrwerke verwendet. Der erste Aspekt ist der Präzisionsgrad der Regulierung. Die Unruhen von Blancpain sind mit vier goldenen Regulierschrauben bestückt. Die Uhrmacher kennen die genaue Auswirkung auf die Ganggenauigkeit, die sich aus der Feinregulierung dieser Schrauben ergibt: eine Vierteldrehung entspricht einer erwarteten Veränderung von „x“ Sekunden pro Tag. Im Gegensatz dazu ist die Gangregulierung beim Rückersystem eher eine Glücksfrage. Bringt der Uhrmacher den Rückerzeiger durch einen kleinen Schubs in eine andere Position, kann er erst nach einer Testphase feststellen, ob die Gangänderung wie gewünscht ausgefallen ist.
Der zweite Punkt ist die Robustheit, die Stabilität und die Widerstandsfähigkeit gegen Erschütterungen. Bei der Standardkonstruktion eines Rückerzeigers hat dieser an der Unterseite zwei winzige Stifte, zwischen denen die Spiralfeder hindurchläuft. Hier kann die Feineinstellung durch Stöße auf verschiedene Weise beeinträchtigt werden. So kann sich der Arm leicht verschieben, was die Ganggeschwindigkeit ändert. Da die Spiralfeder zwischen zwei Stiften verläuft, aber nicht fest mit ihnen verbunden ist, kann sie sich außerdem im Zwischenraum der Stifte auf und ab bewegen, was ebenfalls kleine Gangänderungen zur Folge haben kann. Keiner dieser Nachteile trifft beim Trägheitsregulierungssystem zu. Das beweisen die Unterschiede bei der Konstruktion eines solchen Systems und seiner Elemente. Im Gegensatz zum Rückerzeiger bleibt die Position der Regulierschrauben auch bei einem Stoß im Wesentlichen unverändert. Ebenso sind die Enden der Spiralfeder fest fixiert, statt dass das äußere Ende zwischen zwei Stiften hindurchläuft und dadurch anfällig für Bewegungen innerhalb dieses Spielraums wird.
SILIZIUMSPIRALFEDERN
Viele Jahre lang wurden die Spiralfedern für Schweizer Uhren aus einer speziellen Metalllegierung wie Nivarox hergestellt, deren Eigenschaften im Vergleich zu früheren Werkstoffen einen großen Fortschritt darstellten, weshalb sich Nivarox praktisch in der Branche durchsetzte. 2006 gelang es jedoch erstmals, in einem fotolithografischen Ätzverfahren Spiralfedern aus Silizium herzustellen, wie sie heute auch in Blancpain-Uhrwerken verwendet werden. Siliziumfedern übertreffen die früher verwendeten Werkstoffe für Spiralfedern um Längen. Die Fortschritte dank Silizium sind vielfältig.
Da ist zunächst die ideale Geometrie der Spiralfedern aus Silizium. Für metallische Spiralfedern wird ein Draht auf einen feinen Durchmesser gezogen, flachgewalzt und zur Spirale geformt. Im Lauf der Jahrzehnte wurden bei der Gleichmäßigkeit des Profils und der Spiralform große Fortschritte erzielt, nicht zuletzt dank der Breguet-Endkrümmung. Eine absolut konzentrische Form kann jedoch auch so nicht erreicht werden. Siliziumspiralfedern hingegen werden, wie bereits erwähnt, in einem Hightech-Verfahren produziert. Dabei wird die Form der Feder ohne mechanische Einwirkung aus einer auch Wafer genannten Siliziumscheibe geätzt. So erhält man die gewünschte ideale Form, die zudem, einmal hergestellt, während der gesamten Nutzungsdauer bei aller Flexibilität unverformbar bleibt. Darüber hinaus ermöglicht das Verfahren, dass Variationen des Profils in die endgültige Form eingearbeitet werden können. Auf diese Weise können die Uhrwerkkonstrukteure Abschnitte der Spiralfeder bestimmen, die steifer oder flexibler sind als andere Partien, um die Leistung je nach den Besonderheiten der Uhrwerkkonstruktion zu optimieren. Diese spezielle Anpassung an die Eigenschaften des Uhrwerks ist bei herkömmlichen Metallspiralfedern einfach nicht möglich.
Zweitens ist der Grad des Isochronismus entscheidend. In der Uhrmacherei umfasst dieser Begriff die Auswirkungen auf die Funktion des Uhrwerks beim allmählichen Entspannen der Antriebsfeder. Wie wirkt sich der Wechsel vom vollständig aufgezogenen Uhrwerk bis zur endenden Gangautonomie auf die Funktion aus? Bei der vollständig aufgezogenen Uhr ist die auf das Regulierorgan (Unruh, Spiralfeder, Hemmung) ausgeübte Kraft in der Regel größer, als wenn die Antriebsfeder im Federhaus fast entspannt ist. Im Verlauf des Entspannens ändert sich die Amplitude tendenziell. Die meisten Uhrenbesitzer denken bei der Leistung ihres Zeitmessers vor allem an die Anzahl Sekunden, die dieser nach dem Aufziehen pro Tag verliert.
Uhrmacher und Uhrwerkdesigner hingegen konzentrieren sich in erster Linie auf die Amplitude. Sie ist das Maß für die Gradzahl der Drehung der Unruh bei jedem von der Hemmung abgegebenen Impuls. Im Idealfall liegt die Amplitude bei einer Schwingung von 290 Grad. Ist die Antriebsfeder vollständig aufgezogen, ist die Amplitude tendenziell größer, als wenn sie fast vollständig abgewickelt ist.2
Eine Eigenschaft der Siliziumfeder, die die Isochronismusabweichungen reduziert, ist ihre Reaktion auf die Veränderungen der Impulskraft beim Entspannen des Federhauses. Im Vergleich zu metallischen Spiralfedern ist die Auswirkung der Kraftänderungen bei einer Siliziumfeder deutlich geringer. Für den Träger der Uhr bedeutet dies, dass sie ungeachtet des unterschiedlichen Aufzugszustands gleichmäßiger läuft.
Spiralfedern aus Silizium verbessern die Genauigkeit der Zeitmessung zudem, weil sie leichter sind als Metallfedern. Die Schwerkraft, die auf die Unruh und ihre Spirale einwirkt, kann je nach Lage der Uhr zu kleinen Gangabweichungen führen. Dieses Phänomen hat verschiedene Ursachen, darunter die Verlagerung des Schwerpunkts der Feder von der Drehachse, so dass die Schwerkraft die Amplitude entweder vergrößert oder das Gegenteil bewirkt. Zudem können Unterschiede bei der Reibung und Schmierung auftreten, wenn sich die Position der Uhr ändert. Da Siliziumfedern leichter sind, verringern sie auch diese Effekte.
Ein weiterer Vorteil von Silizium betrifft den Magnetismus. Da Silizium amagnetisch ist, wird es von Magnetfeldern nicht beeinflusst. Sind hingegen Spiralfedern aus Metall einem ausreichend starken Magnetfeld ausgesetzt, können ihre Windungen magnetisiert werden. Dies hat zur Folge, dass sich diese Windungen gegenseitig entweder anziehen oder abstoßen. In beiden Fällen beeinträchtigt dieser Restmagnetismus die Eigenschaften der Spirale und damit den Lauf des Zeitmessers. Bei Siliziumfedern stellt sich dieses Problem nicht.
Nicht zu vernachlässigen sind die Auswirkungen der Alterung auf die Eigenschaften von Spiralfedern. Bei herkömmlichen Metallfedern kann es im Lauf der Zeit zu Veränderungen der Steifigkeit kommen, die sich negativ auf die Ganggenauigkeit und den Isochronismus auswirken können. Im Gegensatz dazu bleibt Silizium stets stabil und von den Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen verschont, denen Metallteile unterworfen sind.
2 Paradoxerweise läuft die Uhr bei der größten Amplitude und maximalem Aufzug etwas langsamer, als wenn die Amplitude abnimmt und das Federhaus sich zu entspannen beginnt. Mit anderen Worten: Der Gang der Uhr neigt dazu, sich zu beschleunigen, wenn sich das Federhaus entspannt. Dieses Phänomen lässt sich dadurch erklären, dass die Unruh weniger Zeit für eine volle Umdrehung benötigt, wenn der Grad der Schwingung unter dem Maximum liegt.
UHRWERKE MIT MEHREREN FEDER- HÄUSERN
Viele Blancpain-Uhrwerke sind mit zwei oder drei Federhäusern ausgestattet. Der Einsatz mehrerer Federhäuser verlängert selbstverständlich die Gangautonomie, und zwar bei drei Federhäusern auf bis zu acht Tage. Die Dauer der Gangreserve ist jedoch nur ein Teil des Ganzen. Ebenso wichtig ist, wie sich das Uhrwerk über einen längeren Zeitraum verhält. Anders ausgedrückt: Wie steht es mit seinem Iso- chronismus?
Bei den Uhrwerken mit mehreren Federhäusern schaltet Blancpain diese in Serie. Das äußerste Federhaus ist direkt mit den Aufzugskomponenten verbunden, entweder über die Krone oder über den automatischen Aufzug, das innerste hingegen direkt mit dem Räderwerk der Uhr. Eine raffinierte Konstruktion ist erforderlich, um die Kraftübertragung in den verschiedenen Stadien des Aufzugs auszugleichen. Die Idee ist, dass das äußere Federhaus (oder die beiden äußeren, wenn drei vorhanden sind) das direkt mit dem Räderwerk verbundene innerste Federhaus beim Entspannen mit Energie versorgt. Auf diese Weise verfügt das Reguliersystem der Uhr (Unruh, Spiralfeder und Hemmung) beim Entspannen der Federhäuser über ein besonders konstantes Drehmoment, was den Isochronismus verbessert. Das allgemeine Prinzip ist einfach zu formulieren, erfordert aber eine sorgfältige Designstudie, um es umzusetzen. Der Trick besteht darin, dass die Uhrwerkingenieure von Blancpain die Eigenschaften der Antriebsfedern für die Federhäuser sorgfältig berechnen. Das innerste Federhaus ist mit einer weniger starken Feder ausgestattet als die äußeren. So wird es, wenn sich seine Feder entspannt, von dem oder den stärkeren Federhäusern laufend mit Energie versorgt.
Es gibt einen roten Faden, der bei der Untersuchung dieser Elemente des Designs erkennbar wird. Jedes von ihnen existiert nur hinter den Kulissen und außerhalb des Rampenlichts, aber alle tragen auf signifikante Weise zur Leistung der Blancpain-Uhrwerke bei.