Kapitel 12
Die Einführung des Weinbaus in Französisch-Polynesien: ein Abenteuer unter dem Zeichen der Kühnheit.
Falls Sie daran denken, Unternehmer zu werden, haben Sie die Wahl zwischen zwei radikal entgegengesetzten Wegen: Entweder setzen Sie auf Methoden, die sich bewährt haben, oder Sie nehmen eine verrückt wirkende neue Herausforderung an. Dieser Zwiespalt stand anfangs auch beim Weinbau im Silicon Valley auf dem Programm. Und wenn Sie etwa im Burgund ein Weingut gründen oder übernehmen wollen, können Sie sich auf eine mehrere Jahrhunderte alte Weinbaugeschichte stützen, in deren Verlauf die Vorteile jeder Parzelle, die Wahl der geeignetsten Traubensorten sowie die bewährten Anbau- und Ausbauverfahren genauestens bestimmt wurden und sich als zuverlässig erwiesen haben. Wenn Ihre Abenteuerlust Sie hingegen dazu bewegt, in Französisch-Polynesien Wein zu produzieren, können Sie nur auf sich selbst zählen. Einige werden Sie für einen leicht gestörten Pionier halten, der ohne Kompass in einer Terra incognita herumirrt. Denn bis vor kurzem wurde kein Flecken Erde dieses großen Archipels, dessen Atolle auf einem Meeresgebiet von der Fläche Westeuropas verstreut sind, je für den Weinbau genutzt. Bei der Suche nach geeigneten Lagen in diesem Gebiet werden Sie denn auch keine Ähnlichkeit mit anderen Rebbergen dieser Welt entdecken. Die „ideale“ Lage bleibt ein Rätsel, die Traube ein Geheimnis. Und dennoch hat Dominique Auroy, ein französischer Ingenieur und Unternehmer, diesen schwierigen Weg gewählt, indem er eine Auswahl von Rebsorten aus Italien und Frankreich nach Polynesien brachte.
Dominique Auroy ist gewohnt, große Projekte zu realisieren, hatte er doch schon den Bau von Staumauern und eines Stromnetzes geleitet. Dennoch war die Verwirklichung seines Weinprojekts mit vielen Unbekannten und Hindernissen verbunden. Seit 1992 führte er mehr als hundert (!) unterschiedliche Versuche mit einer schwindelerregenden Vielfalt von Rebsorten durch, die an einer ebenso beeindruckenden Zahl potentiell geeigneter Lagen auf den polynesischen Atollen gepflanzt wurden. Diese experimentellen Bepflanzungen mit den ausdauerndsten Sorten brachten keine unmittelbaren Ergebnisse – abgesehen von einigen Fehlschlägen, die sehr schnell eintraten. Obwohl es naheliegend schien, die Reben auf Tahiti in Hanglagen zu pflanzen, da sich diese Methode in anderen Weinbaugebieten wie an der Rhone (im Wallis und an der Côte-Rôtie), in Italien (Terre Nere am Ätna) oder in Napa (Howell Mountain) zu guten Erträgen geführt hatte, erwies sie sich als erfolglos. Denn die Kombination aus Hanglage und Äquatorialklima bot zwar Wärme, aber nicht genügend Sonnenstunden, um die Trauben richtig reifen zu lassen. Es dauerte mehrere Jahre, bis Dominique Auroys Geduld mit der Entdeckung des heutigen Standorts auf einer der Inseln im Nordwesten des Rangiroa-Atolls belohnt wurde. Der 1997 angelegte erste Rebberg war mit drei Hektar sehr bescheiden.
Als geeignetste Rebsorte erwies sich dabei die rote Carignan, auch Carignan noir genannt. Das war insofern überraschend, weil das ursprüngliche Ziel die Produktion von Weißwein war. Die Carignan war lange Zeit im südlichen Frankreich, aber auch in Italien und Spanien weit verbreitet. Sie wird wegen ihrer Wuchskraft, ihrer Hitzetoleranz und vor allem wegen ihrer hohen Erträge geschätzt (bis zu viermal höher als jene der Cabernet Sauvignon, im Bordelais die Hauptrebsorte im Médoc). Ungeachtet ihrer weiten Verbreitung war die rote Carignan noch nie für die Weißweinbereitung verwendet worden. Önologen könnten einwenden: Warum hat man nicht weiße Carignanreben gepflanzt, wenn man Weißwein erzeugen will?
Doch bei den Versuchen mit der weißen Sorte erwiesen sich die Blätter als zu empfindlich und die Stöcke als nicht kräftig genug, um in diesen heißen Breitengraden zu gedeihen. In fast allen französischen Weinbauregionen nutzt man heute Carignanstöcke mit einer amerikanischen Unterlage. Diese hat sich nämlich im Gegensatz zum anfälligeren französischen Wurzelstock als resistent gegen die Phylloxera-Reblaus erwiesen. Da dieser Parasit nirgendwo in Polynesien vorkommt, konnte Dominique Auroy in seinen Pf lanzungen die ursprüngliche Unterlage nutzen. Heute ist die Carignan noir die Hauptrebsorte seines Weinbergs.
Die Wahl des Standorts und der Hauptrebsorte war nur der Auftakt der erforderlichen Arbeiten für das Gelingen des Weinbaus in Französisch-Polynesien. Da es anfangs mehrere Wochen im Jahr kaum regnete, musste die Bewässerung manuell mit Eimern erfolgen. Die Weinlese stellte eine völlig neue und zweifellos weltweit einzigartige Herausforderung dar. Die Reben auf den einzelnen Inseln sind nur per Boot erreichbar. Die Trauben werden von Hand geerntet, in den Lesekisten zu Fuß zu einer kleinen Anlegestelle gebracht, auf ein Boot verladen und zur Kellerei transportiert, die sich in einem anderen Gebiet des Rangiroa-Atolls befindet. Die beiden Teile des Atolls sind durch einen tiefen Kanal getrennt, der den Ozean mit einem Bereich verbindet, der ebenfalls wie das offene Meer aussieht, technisch gesehen aber eine Lagune ist, weil er von einem mehr als 30 Kilometer südlicher gelegenen und sehr schmalen Korallenatoll geschützt wird.
Selbst wenn ein Winzer eine solide Ausbildung hat, um den Gefahren für die Reben zu trotzen, kann ihn der Standardlehrplan nicht darauf vorbereiten, was er auf Rangiroa antreffen wird. Krebse zum Beispiel. Sie bewegen sich frei durch das Grundwasser unter dem Weingarten und graben sich zur Oberfläche vor, um an die Trauben zu kommen. Ganz abgesehen von den eingeführten Wildschweinen, die das Atoll bevölkern. Ein noch größerer Feind sind die Stürme. Zwar ist der Rebberg im Innern des Atolls angelegt und von Kokospalmen gesäumt, doch auf beiden Seiten trennen ihn nur wenige Schritte vom Meer. Obwohl starke Winde glücklicher- weise eher selten sind, können sie bis zu sieben Meter hohe Wellen erzeugen, die beim Ansturm auf die Küste die Gischt auf die Reben schleudern.
Das Atoll bietet dennoch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Dank seines äquatorialen Klimas gibt es auf Rangiroa keine richtige Wintersaison. Daher kennen die Rebstöcke im Gegensatz zu allen bedeutenden Weinbauregionen der Welt keine Winterruhe. Nach der Lese und dem Beschneiden der Reben durchlaufen diese eine neue Wachstumsperiode, die zur zweiten Ernte des Jahres führt. Versuchen Sie einmal, dies in den Jahrgangsführern zu erklären. Stammt eine Flasche eines bestimmten Jahrgangs aus der ersten Weinlese im Mai oder aus der zweiten im Dezember?
Die Weinproduktion steht heute unter der Leitung von Sébastien Thépénier, einem gebürtigen Burgunder, der 2002 aus dem Elsass nach Rangiroa kam. Sébastien beaufsichtigte die vielseitige Entwicklung des Guts auf Rangiroa, das mittlerweile weit mehr als nur Weinberge umfasst. Die vorherrschende Rebsorte ist nach wie vor die anfänglich gepflanzte rote Carignan, aber auf kleineren Parzellen stocken heute auch Italia, eine italienische Weißweintraube, und Muskateller. Die Einführung einer Rebsorte in einen Weinberg ist jedoch mit dem Pflanzen nicht abgeschlossen, durchläuft sie doch danach einen Anpassungsprozess. Sobald die ersten Reben einer Sorte Trauben tragen, prüft Sébastien, welche Stöcke dieser Sorte erfolgreicher sind als die anderen. Diese werden dann geklont und für die gesamte Plantage verwendet: das Gesetz des Stärkeren, in bester darwinistischer Tradition. Genau dieser Versuchsprozess läuft zur Zeit mit der Chasselas- oder Gutedelrebe, der dominierenden weißen Traube in der Schweizer Genferseeregion und dem Wallis, wo sie Fendant heißt. In diesem frühen Stadium können die Chasselasreben den Attacken der einheimischen Insekten kaum widerstehen, so dass die Trauben zwar von guter Qualität sind, aber nur geringe Mengen geerntet werden und die Pflanzen empfindlich bleiben. Mit diesem Versuch hofft das Weingut, dass sich einige der Chasselasstöcklinge akklimatisieren und für die generelle Bepflanzung als robuster und besser geeignet erweisen. Trotz der Schwierigkeiten der Chasselasrebe in dieser neuen Umgebung ist Sébastien vorsichtig optimistisch. Schließlich habe der vergleichbare Auswahlprozess für die rote Carignan zehn Jahre gedauert.
In vielen Bereichen wurden Fortschritte erzielt. Die Jahresproduktion betrug bei Sébastiens Ankunft nur 400 Flaschen, heute sind es 30 000. Die manuelle Bewässerung mit Eimern wurde durch eine Tropfbewässerung ersetzt, bei der das Wasser mit Solarpumpen gefördert wird. 2016 begann Sébastien, verschiedene biodynamische Praktiken zu testen. Er entschied sich, die exotischeren und umstritteneren Methoden der biodynamischen Regeln zu ignorieren, etwa die Verwendung von Mist, der in einem Kuhhorn vergraben wird, und bevorzugte einleuchtendere Methoden, die auf Kompostierung und der Berücksichtigung der Mondphasen basieren. Einen großen Teil der Arbeit macht die Erzeugung von natürlichem Kompost aus dem Weinrebenschnitt mit Algenzusatz aus. Dies erscheint als naheliegende Lösung, nicht zuletzt, weil sie das ohnehin schon bedeutende Vorkommen von Korallenkalk im Boden ergänzt. Auf den ersten Blick mag es weniger logisch erscheinen, die Aktivitäten im Weinberg nach den Mondphasen zu planen. Denkt man darüber nach, macht es dennoch Sinn. Mehr als jeder andere Rebberg der Welt wird diese Parzelle auf Rangiroa von ihrer maritimen Umgebung beeinflusst, die wiederum eng mit den Mondphasen verbunden ist.
Der Anbau von Zuckerrohr für die Rumherstellung führt uns in eine ganz andere Richtung. Die Geschichte der Rumproduktion auf Rangiroa ist in Vergessenheit geraten und wurde von anderen Ereignissen überschattet. Ende des 18. Jahrhunderts entdeckte Louis Antoine de Bougainville in Polynesien Felder mit einem hohen Süßgras, das heute als „Bourbon-Zuckerrohr“ bekannt ist. Er nannte es „O’Tahiti-Rohr“ und brachte es nach Mauritius. Von dort aus wurde es zunächst in Westindien und Französisch-Guyana eingeführt, bevor man es auch in mehreren anderen Ländern anbaute. Durch Hybridisierung wurden später ertragreichere und widerstandsfähigere Sorten gezüchtet. Leider geriet das ursprüngliche Bourbon-Zuckerrohr auch in Polynesien zugunsten modernerer Sorten in Vergessenheit. Heute wird hier in der Nähe der Rebberge wieder das Bourbon-Zuckerrohr, das an seinem rot gefärbten Stengel erkennbar ist, für die Rumproduktion gepflanzt. Es verleiht so der Wiederbelebung der Rumbrennerei ein wichtiges Stück Authentizität. Das geerntete Zuckerrohr wird in Rangiroa einem Fermentationsprozess unterzogen, bevor es nach Tahiti transportiert wird, wo Sébastiens Kollege Maxime Taupo daraus einen Rum namens Mana’o erzeugt.
Selbstverständlich kümmert sich Sébastien vor allem um den Wein. Während er in der Vergangenheit nur geringe Mengen an rotem Carignan produzierte, besteht das aktuelle Angebot aus drei Weißwein- und einer Rosé-Cuvée. Der Clos du Récif ist die Premium-Cuvée des Sortiments. Er besteht zu 100 % aus rotem Carignan, der in den ältesten Bereichen des Rebbergs geerntet wurde, und enthält einen großen Anteil, der in Eichenfässern gereift ist, während der Rest in Terrakotta-„Fässern“ ausgebaut wurde. Die Kelterung von Weißwein aus einer Rotweintraube erfordert eine sorgfältige Technik. Man muss den Saft ablaufen lassen, indem man die Scha- len, die die rote Farbe und die Tannine absondern, vorsichtig auspresst. Die zweite weiße Cuvée, der Clos du Corail, ist eine Mischung aus rotem Carignan, Italia und einem sehr geringen Anteil Muskateller. Der dritte Weißwein ist eine Cuvée aus der Spätlese, die Monamona genannt wird. Er besteht aus einer Mischung von 55 % Italia, 40 % rotem Carignan und 5 % Muskateller. Nacarat ist die Rosé-Cuvée, die fast vollständig aus rotem Carignan besteht und einen kleinen Anteil an Italia enthält. Die Unterschiede in der Handhabung der Carignan zwischen diesem Rosé und den Weißen liegen in der Arbeitszeit, die den Schalen gewidmet wird, und im Grad der Pressung, bei der die Schalen nur einen Teil, nicht aber ihre gesamte Farbe und Persönlichkeit an den Saft abgeben können.
Dominique Auroy und Sébastien Thépénier haben etwas Außergewöhnliches vollbracht. Wenn man diese Auswahl auf den Weinkarten in Tahiti oder Frankreich sieht, denn nur dort sind sie zu finden, könnten einige verächtlich reagieren. „Natürlich ist das Wein. Und in Flaschen abgefüllt, was sagt man dazu? Aber er ist sicher nichts Besonderes.“ In der Tat sind diese einzigartigen Flaschen jedoch von außergewöhnlicher Qualität. Als ich selbst mehrere Tage in Polynesien verbrachte, waren sie die einzigen Weine, die zu jeder Mahlzeit ausgewählt wurden.
Alle Weine wurden von Jeffrey S. Kingston im September 2022 auf dem Weingut Vins de Tahiti und anderswo in Rangiroa degustiert.
CLOS DU RÉCIF 2021
In der Nase Aromen von Feuerstein und Eisen, die auf den Korallenboden verweisen. Vollmundig und rund mit schöner Tiefe. Ausgezeichnete Aromen von Limette, Mineralien und Vanille. Langes Finale mit Noten von Agrumen.
BLANC DE CORAIL 2021
Mineralische Nase, gefolgt von Noten von Agrumen, die einem Finale mit Grapefruitaromen Platz machen. Nicht so reichhaltig wie der Clos du Récif, aber seine Aromen sind klar und perfekt ausgewogen.
ROSÉ NACARAT 2021
Seine Farbe ist ein wenig dunkler als die der klassischen Rosés der Provence. Die Noten nach Agrumen in der Nase weichen einem mineralischen Körper mit Aromen nach Blutorange. Das Finale ist wiederum von Agrumen geprägt. Aromen und Körper sind von beeindruckender Tiefe. In Tahiti neben einem Rosé der Provence verkostet, erwies sich der Nacarat als in allen Kategorien überlegen.
MONAMONA 2021
Leichter und einfacher zu trinken als
die meisten Spätleseweine. Rund am Gaumen mit lebhafter Säure, Aromen nach Aprikose und Weinbergpfirsich. Sanftes, ausgeglichenes Finale. Perfekt für die Kombination von Speisen und Wein.
HERAUSGEBER Blancpain SA REDAKTIONSAUSSCHUSS PROJEKTMANAGEMENT CHEFREDAKTION AUTOREN DIESER AUSGAB DEUTSCHE ÜBERSETZUNG LEKTORAT UND KORREKTORAT |
GRAFIKDESIGN, REALISATION ART DIRECTION PHOTOLITHOGRAPHIE PREPRESS UND DRUCK UHRENFOTOGRAFIEN ANDERE FOTOS, ILLUSTRATIONEN Caroline Ballesta Erscheinungsdatum: Januar 2023 |